Ein kleiner Einblick in ausgewählte Querdenken-Chats in Schleswig Holstein

Im Folgenden findet ihr das Ergebnis einer etwas ausführlicheren Recherche zu der schleswig-holsteinischen Querdenken-Bewegung, bzw. zu den Gruppen aus Kiel, Flensburg und einer landesweiten Gruppe.
Die Recherche fand hauptsächlich die letzten Wochen in den offiziellen Telegram-Chatgruppen statt. Manchmal wurde aber auch die Stichwortsuche genutzt und ältere Beiträge mit einbezogen. Die Telegramgruppen sind für alle Menschen öffentlich zugänglich : ‚Kiel steht auf‘, ‚Freie Schleswig-Holsteiner‘, ‚Freie Kieler‘, ‚Flensburg für Grundrechte‘.
Da die Anzahl an für diesen Bericht geeigneten Beiträgen, die verdeutlichen, was eigentlich unser Problem mit Querdenken ist, schlicht viel zu hoch ist, als dass wir hier auf jeden einzelnen ausführlich eingehen könnten, wurde eine Auswahl an Beispielen getroffen.
Die Wiedergabe der Aussagen in den Chats sind oft, aber nicht immer im originalen Wortlaut. Die Aussagen wurden allerdings oft zusammengefasst und in indirekter Rede wiedergegeben, da wir das Gefühl hatten, dass es sonst nur noch verwirrender und unübersichtlicher wird. Der Zeitpunkt der Recherche war Mitte Februar 2022. Wenn volle Klarnamen verwendet wurden, haben wir den Nachnamen mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzt.
Für den folgenden Bericht wollen wir vorab eine Triggerwarnung aussprechen, denn es geht unter anderem um Rassismus, Antisemitismus, Transfeindlichkeit, Sexismus sowie um teils ziemlich explizite Gewaltfantasien.

‚Denn ich kenne keine Linken mehr, keine rechten oder sonst was, nur noch Unterdrücker und Unterdrückte‘ – Neonazis und Reichsbürger*innen in der Gruppe ‚Kiel steht auf‘

Da die Gruppe öffentlich ist, können alle Menschen, die Telegram haben sowohl die Profilbilder, als auch den Namen der Gruppenmitglieder sehen – es sei denn, die Nutzer*innen verbergen diese. Natürlich geben nicht alle Menschen dort ihre vollen Klarnamen an, bei manchen steht stattdessen nur ein Buchstabe, Emojis oder ein Pseudonym. Andere allerdings scheinen sich nicht allzu viele Gedanken darüber zu machen, dass prinzipiell jeder Mensch zu jeder Zeit sehen kann, was sie*er geschrieben hat – oder es ist ihnen einfach völlig egal. Letzteres wird wohl auf Peter B. zutreffen, der mit vollem Klarnamen und mehreren unvermummten Profilbildern in der Gruppe öfter mal aktiv ist. Er gehört seit langem zum Kern der Kieler Naziszene und ist unter anderem in NPD-Kreisen aktiv, war aber auch schon auf Schulhöfen, um Nazi-Cds an Kinder und Jugendliche zu verteilen, auf denen Lieder von Bands sind, die sich in ihren Liedern über tote Juden*Jüdinnen freuen. Zwar schreibt er nicht jeden Tag, doch ab und an sagt auch er seine Meinung und macht keinen Hehl daraus, dass er überzeugter Nationalsozialist ist. So schreibt er „Antifa verrecke, Rotfront hat schon immer gegen ihre eigenen Leute gehandelt. Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit sind nur Parolen um Uneinigkeit zu schaffen Spaltung. Arm gegen reich, Mann gegen Frau und Kinder gegen die Eltern. Frankfurter Schule. Und tatsächliche Einheit bricht dem Marxismus und dem Kapitalismus. Und nun bin ich wieder ruhig. Denn ich kenne keine Linken mehr, keine Rechten oder sonst was nur noch Unterdrücker und Unterdrückte. Sozialismus ist die Antwort auf die sozialen fragen. Und international sind sie nicht zu lösen.“ Und anscheinend schien keines der über 1000 Mitglieder der Gruppe ein Problem damit zu haben, denn darauf reagiert hat kein*e Einzige*r. Während er hier seine nationalsozialistische Haltung so offen präsentierte, versucht er an anderer Stelle davon abzulenken und sagt : „Anstatt sich über wichtige Dinge zu unterhalten befasst man sich wieder mit der ist rechts und der ist links. Leute, egal welche politische Richtung ihr verfolgt, egal welcher Religion ihr angehört. Hier wird alles vergiftet durch die (Impfung). Daher ist es mir auch egal wer auf Demos dabei ist. Gehe mal davon aus, dass man auf Anti-Coronademos geht, um gegen die Maßnahmen zu demonstrieren und nicht um Leute davon zu überzeugen, dass andere Sachen in der Politik falsch laufen. Teile und Herrsche. Denkt mal drüber nach. Ich bin hier Menschen zu retten und aufzuklären, dass Impfen gefährlich ist. Und da spielt für mich das Parteibuch keine Rolle.“ Was anscheinend für ihn doch eine Rolle spielt, ist die Antifa : die, so schreibt er, möge er nicht. Wäre ja auch seltsam, so als offener Faschist.

Auch Hauke H. ist mit vollem Namen und Profilbild in der Gruppe. Auf seinem Profilbild ist er auf einer Demonstration zu sehen, eine Schleswig-Holstein Flagge in der Hand. Auf seinem T-Shirt steht ‚Multikulti ist Völkermord‘. Geschrieben hat er in der Gruppe allerdings noch nicht viel/nichts, zumindest nicht in dem untersuchten Zeitraum.
Ein Name, der immer wieder auftaucht ist Matthias L. Er kommt wohl aus Eutin und hat im Mai 2020 einen Text mit dem Titel „Der ‚Corona-Krimi‘- die Entschlüsselung eines komplexen Geschehens zur ‚digitalen Versklavung‘ der Menschheit“ im Internet veröffentlicht. Darin verbreitet er seine Verschwörungserzählungen und schreibt, es sei alles geplant gewesen, von Anfang an. Auch in der Gruppe teilt er regelmäßig auffällige Beiträge, die vermuten lassen, dass er der Reichsbürger*innenszene zuzuordnen – zumindest aber klar rechtsextrem eingestellt ist. Er hat schwarz-weiß-rote Reichsflaggen sehr gerne und wirbt für ‚ökologische Siedler*innenprojekte‘, bei denen es sich offensichtlich um esoterische Rechtsextreme handelt. Er beschwert sich darüber, dass die Demos nach rechts ausgrenzen würden (was wir nach dieser Recherche kein bisschen bestätigen können…) und erwähnt die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ als ‚erhellende Dokumente‘, die Menschen sich seiner Meinung nach unbedingt durchlesen sollten.

„George Soros hat das alles schon lange geplant !!!“ Antisemitismus und Verschwörungserzählungen in den Chats

Doch es bleibt nicht bei einem antisemitischen Kommentar, immer wieder äußert er antisemitische Verschwörungserzählungen, wie auch andere Chatmitglieder. Zum Beispiel schreibt er, dass er denke, dass der neuerliche Konflikt im nahen Osten von den ‚zionistischen Eliten‘, die sowohl Israel als auch die Hamas finanzieren würden, geschürt werde. Er solle ablenken von den anderen wichtigen Themen, die gerade liefen. Auch Marius fällt in punkto Antisemitismus immer wieder auf – laut ihm kommt der in Deutschland aber (fast) ausschließlich von Moslems. Die Judenhassdebatte sei in Deutschland nur ein Werkzeug, um uns abzulenken und uns unsere Opferrolle besser bewusst zu machen, genau wie in den USA Fälle weißer Polizeigewalt regelmäßig aufgeplustert würden, während zur selben zeit hunderte von Polizisten und auch Passanten jeglicher Hautfarbe stürben. Man solle endlich klar sagen dürfen, dass es schlecht sei was die Israelis in Palästina machten und dass Rothschild 500 Billiarden Dollar habe und dass er die Pandemie und ‚ALLES‘ schon lange Zeit geplant habe. Marius scheint, genauso wie viele andere Gruppenmitglieder großen Gefallen an den Great Replacement/Great Reset Erzählungen gefunden zu haben. ‚The Great Reset‘ (zu deutsch ‚Der große Neustart‘)bezeichnet eine Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF). Demnach solle die Weltwirtschaft nach der Coronakrise gerechter, sozialer und nachhaltiger gestaltet werden. WEF-Direktor Klaus Schwab entwarf die Initiative und stellte sie 2020 vor, im selben Jahr kam das Buch ‚Covid-19: Der große Umbruch‘ heraus, an dem er mitwirkte. Die Verschwörungserzähler*innen dichten diese Initiative nun weiter aus und um. Es geht vor allem um Weltherrschaftspläne einer reichen Elite, die die Pandemie geplant und initiiert haben soll (deswegen wird in den Chats auch oft von einer ‚Plandemie‘ geschrieben) um ihre Interessen durchzusetzen. Das wird oft zusätzlich noch mit anderen, älteren Erzählungen wie die der ‚Neuen Weltordnung‘ (‚New World Order‘) und der des ‚Großen Austausches‘ (‚Great Replacement‘) verbunden. Laut vielen Querdenker*innen soll also Rothschild (oder wahlweise auch andere Jüdinnen*Juden wie George Soros oder schlicht ‚Globalisten‘) im geheimen planen, ‚die weiße Mehrheitsbevölkerung Europas‘ gegen muslimische bzw. nicht weiße Migrant*innen auszutauschen und diesen Plan auch umzusetzen. Der Pandemie wird in dieser Denkweise die Funktion zugewiesen, die Bevölkerung zu spalten und abzulenken, damit sich kein geeinter Widerstand formieren kann. Seit der erneuten Verschärfung des Krieges in der Ukraine wird auch dieses Thema in Verbindung mit den benannten Erzählungen gebracht und ihm wird dabei eine ähnliche Funktion zugewiesen, wie der Pandemie. Auch wenn es im Chat so oft heißt, George Soros sei ein ekelhafter Soziopath, der Ökonomien, Kulturen und Länder zerstöre und von der vollständigen Zerstörung von Gesellschaften profitiere – er sei der Finanzierer der ‚Black Lives Matter Riots‘ und der Antifa, wird auf diese Verschwörungserzählungen Bezug genommen. Auffällig verhält sich hier auch Germanicus, der als Reaktion auf einen geteilten Beitrag zum Grünen-Politiker Boris Palmer schreibt : „Jude ist Palmer auch noch. Aber das kann dabei keine Rolle spielen. Entscheidend ist, dass er ein Arschloch ist.“ Warum muss mensch es dann hinschreiben, wenn es angeblich keine Rolle spielt ?

„IHR (Ungeimpften) SEID HART WIE KRUPPSTAHL!“ – Das Weiterleiten von Videos und Texten aus eindeutig rechtsextremen Gruppen

Meist werden die antisemitischen und/oder rassistischen Aussagen der Gruppenmitglieder von ihnen durch weitergeleitete Beiträge aus anderen Chatgruppen ‚unterfüttert‘. Oft handelt es sich um Beiträge von klar als rechtsextrem einzustufende Medien wie der Zeitung ‚Junge Freiheit‘ oder das ‚COMPACT-Magazin‘. Die Beiträge stammen (aber auch) aus Gruppen wie Brennpunkt Deutschland. Dort wiederum gibt es zahlreiche Nachrichten, in denen bekannte Politiker*innen als Juden bezeichnet werden (obwohl es dafür keinen relevanten Anlass gibt und dies auch oft nicht zutrifft). Das wiederum wird in Zusammenhang mit Kriegen und Konflikten wie Ukraine/Russland gebracht, die Proteste am Maidan vor ein paar Jahren seien von den USA, den jüdischen Demokraten und Soros finanziert gewesen. Polizisten wären mit Ketten und Eisenstangen krankenhausreif geschlagen und mit Molotowcocktails angezündet worden. Auch jetzt seien die ukrainischen ASOV Batallione jüdisch gesteuert, um die NATO und EU militärisch wie wirtschaftlich mit reinzuziehen. Die gezeigten Beiträge würden zeigen, dass die Juden ‚im Hintergrund und in den Entscheidungspositionen am aktuellen Beispiel der Ukraine vorgehen‘. Sie würden die weißen Nationalisten als Schild gegen Russland benutzen, um als ‚Rothschild-Soldaten‘ ihre globalistischen Expansionspläne umzusetzen. Schnuppi teilt ein Video von Sucharit Bakhdi aus diesem Kanal, darunter der Aufruf : MAXIMALER WIDERSTAND !!! SELBSTVETEIDIGUNG !!! URSACHEN BEENDEN !!! KLEINE GRUPPEN BILDEN !!! (Art. 20 Abs. 4 GG) !!!! PRÄZISE VORGEHEN !!! SOFORT !!! umgeben von Explosionsemojis, Schildern und Schwertern – ein klarer Aufruf zur gewaltsamen ‚Bewältigung‘ der Probleme bzw. ‚Problememacher*innen‘.
Auch der Telegramkanal ‚Klartext2021Gemeinsam‘ wird fleißig geteilt. Dort findet sich neben zahlreichen offen rassistischen, sich auf die als solche empfundene ‚Flüchtlingskrise‘ beziehenden Beiträgen auch ein Video mit der Überschrift „Der Überlebenskampf des Nordischen Menschen“ und einen Podcast, in dem es nach eigener Aussage unter anderem darum geht ‚ wovon die Dauerplandemie in Deutschland das Volk so nebenbei ablenken soll und welcher der nächste Schritt der ‚Spaziergänger‘ sein muss, damit ihr Protest zum Widerstand wird…‘ .
Als drittes Beispiel kann noch die Vernetzungsgruppe ‚freie Schleswig-Holsteiner‘, der regionale Ableger von ‚freie Sachsen‘ genannt werden, in der jeden Tag die Zahlen und Infos zu den Spaziergängen und anderen Querdenken-Aktionen gelistet werden, die im Bundesland stattgefunden haben. Daneben gibt es in dem Verteiler aber auch regelmäßig ‚(alt)germanische Lebensweisheiten‘ zu finden oder es wird postuliert : ‚Wir spazieren nicht bis zum Ende der Maßnahmen (dass übergestern wieder willkürlich Maßnahmen erteilt werden, irgendeine neue Pandemie aus dem Hut gezaubert wird und die Verbrecher (vom Bundestag bis in die kleinsten Rathäuser, Schulen und Krankenhäuser) immer noch am Hebel sitzen). WIR SPAZIEREN BIS NÜRNBERG 2.0 !!!‘. Hier wird also gefordert, dass die für die Corona-Maßnahmen verantwortlichen Politiker*innen, deren Tun mit dem der Nationalsozialist*innen gleichgesetzt wird, wie die Angeklagten bei den Nürnberger Prozessen nach 1945 hart (mit dem Tod) bestraft werden sollen. Außerdem sind Fotos von unserer antifaschistischen Gegenkundgebung zu Querdenken am 10.02.2022 zu finden. Man ist sehr stolz darauf, einer*m Antifa einen Sticker mit der Aufschrift „neue Antifa Linksfaschisten“ auf den Rucksack geklebt und ihn*sie von hinten fotografiert zu haben – Einsicht sei der erste Schritt zur Besserung. Immer wieder werden Beiträge und Reden der AFD geteilt – und immer wieder in der Nazi-Szene geläufige Begriffe und Phrasen verwendet : „DEUTSCHLAND SPAZIERT ! DEUTSCHLAND ERHEBT SICH ! LANGSAM PASSIERT DER FLÄCHENBRAND AUCH DIE ELBE GEN NORDEN!“. Mit dem Schlusssatz einer Lobeshymne auf die Ungeimpften : „DIE UNGEIMPFTEN! IHR HABT DEN TEUFEL PERSÖNLICH BESIEGT! IHR SEID WIE JESUS IN DER WÜSTE! IHR SEID HART WIE KRUPPSTAHL!“wird sogar ziemlich direkt auf Adolf Hitler Bezug genommen, der dies einst als wünschenswerte Eigenschaft der ‚deutschen (Hitler-)jugend‘ deklarierte.
Ein WerbeSharePic für eine Demo in Bredstedt, welches in der Gruppe geteilt wurde, trägt die Überschrift ‚„Nie wieder!“ dürfen nicht nur leere Worte sein‘ – und auch von solcher Holocaust-Relativierung gibt es noch viel mehr in den Gruppen.

‚Dr. Mengele lässt grüßen – Holocaust Relativierungen und NS-Vergleiche‘

Skorpion z.B. bezeichnet Ärzte, die sich an die Coronamaßnahmen halten als faschistoid und fragt, ob man bald nur noch mit einer „geimpft“-Armbinde in die Praxis dürfe. Weiter beklagt er, dass 1938 wohl schon zu lange her sei, als dass solche Lumpen sich daran erinnern könnten. Und auch, dass die schweigende Mehrheit heutzutage genauso mitmache wie 1933, sie seien die gleichen, die damals den Holocaust erst ermöglicht hätten. Damals habe es die SA/SS gegeben, heute die Antifa. Kasimir G. bezeichnet Polizeieinsätze gegen Querdenker in Frankreich als „Macrons SS Truppen in Aktion“. An anderer Stelle schreibt er : „Hurensohn Macron bringt seine SS in Stellung“. Immer wieder gibt es unangemessene und haltlose Vergleiche, zum Beispiel vom Ermächtigungsgesetz 1933 und den Befugnissen Hitlers mit dem Infektionsschutzgesetz der Coronazeit und Merkels Befugnissen (Hitlervergleiche kommen auch mehrfach im Bezug auf den kanadischen Politiker Trudeau vor). Kasimir G. teilt Karten, auf denen 1. die faschistischen Achsenmächte 1940 und 2. die Länder in denen ‚Impf und Green pass-Apartheid‘ herrsche rot markiert sind (es sind die gleichen). In der Gruppe Brennpunkt Deutschland, deren Videos und Beiträge wie bereits erwähnt auch in ‚Kiel steht auf‘ geteilt werden, gibt es auch zahlreiche eindeutige Videos wie „Höllensturm : Die Vernichtung Deutschlands, 1944-1947“. Der Text unter dem Video : „Der Dokumentar-Film ‚Hellstorm‘, nach dem gleichnamigen Buch des Us-Amerikaners Thomas Goodrich, befasst sich mit jenem Teil der Weltgeschichte, der die vermutlich größten Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs, wenn nicht der gesamten Menschheitsgeschichte umfasst. Hier wird nicht versucht, Gräuel gegeneinander aufzurechnen, es werden keine Holocaust-Berichte revisionistisch in Zweifel gezogen, sondern es wird über jenen Teil der Geschichte des Zweiten Weltkriegs berichtet, der in den heutigen Geschichtsbüchern, im Westen wie im Osten, geflissentlich ausgeklammert wird“ Der Text widerspricht sich, denn es wird sehr wohl ‚gegeneinander aufgewogen‘ und die Autor*innen kommen zu dem Schluss, dass das, was den Deutschen passiert sei sogar noch schlimmer sei als das, was während dem zweiten Weltkrieg (den Juden*Jüdinnen) passiert ist. Gerne gesehen sind bei vielen Leuten in den Gruppen auch Zitate aus der NS-Zeit, wie zum Beispiel die der Widerstandsgruppe ‚Weiße Rose‘. Auf einem Foto von einigen Mitgliedern der Gruppe der Spruch ‚Das Gesetz ändert sich, das Gewissen nicht‘. Da wir eh wieder nur einige wenige Beispiele von vielen, vielen mehr nennen können, hier vorerst ein letztes : Jemand teilt ein Video, schon das Titelbild ist auffällig : Zwei Figuren (gezeichnet) stehen links und rechts am Bildrand, mit je einer überdimensional großen, mit knallgrüner Flüssigkeit gefüllten Spritze die sie wie ein Gewehr halten. Über ihnen ein Torbogen mit der Aufschrift ‚Impfen macht frei‘, welche auf die Aufschrift ‚Arbeit macht frei‘ verweist, die an und über vielen Toren der Konzentrationslager in der NS-Zeit angebracht war.

„Wir sind doch alle eine Menschenfamilie“ – Von asymetrischen Hufeisen und dem Umgang mit Kritik an Rechtsextremismus

Nach Kritik an all diesen antisemitischen, rechtsextremen und rassistischen Aussagen mussten wir tatsächlich sehr lange suchen – aber es gibt sie. Als wir dann endlich fündig wurden und folgende Situation in der Gruppe ‚freie Kieler‘ quasi ‚live‘ mitlasen, merkten wir auch schnell, warum die Kritik an all diesen problematischen Beiträgen so schwer zu finden ist : Sie wird gelöscht und Kritiker*innen aus der Gruppe geschmissen oder gedrängt. Wie passt das denn jetzt mit der Liebe zur Meinungsfreiheit zusammen, die sich die Leute in der Gruppe sonst immer auf die Fahne schreiben fragen wir uns ? Aber nun von Anfang an :
Zwei Mitglieder der Gruppe, Niemand und Thorben… sagen, es gehe gar nicht, dass so viele Beiträge der extrem Rechten Querdenken-Gruppe ‚freie Sachsen‘ geteilt würden (die seien rechtsextrem, weil nachweislich Verbindungen zu NPD, DVU und Republikaner existieren). Auch der regionale Ableger ‚Freie Schleswig-Holsteiner‘ sei extrem problematisch.
Es wird ein Artikel der Belltower News zum Thema geteilt – dann gibt es eine Diskussion. Die Nutzer*innen Harald und Geritos meinen, die Seite sei linksextrem, weil auf deren Seite nur Antisemitismus und Rechtsextremismus, nicht aber Linksextremismus behandelt würden. Außerdem werde die Amadeo Antonio Stiftung verlinkt und deren Vorsitzende Frau Kahane sei Stasi IM gewesen, das sei also alles unseriöse linksextreme Propaganda. In der BRD sei sowieso immer alles gleich Nazi, was nicht links sei. Nach Gegenargumenten von Thorben… verweist Geritos auf die Innenministerin Nancy Faeser und den ‚VVN-/antifa-Skandal‘, wo es darum ging, dass das SPD-Mitglied einen Beitrag für die Zeitschrift der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes verfasst hatte, der die Drohschreiben des „NSU 2.0“ zum Thema hat. Die VVN BdA wird im bayrischen Verfassungsschutzbericht als ‚linksextremistisch beeinflusst‘ aufgeführt. Ob das denn gar nicht schlimm sei ??!, ob die AFD Thorben…’s Meinung nach denn auch rechtsextrem sei fragt Geritos. Thorben… antwortet: Ja, wegen Höcke, der gerichtlich bestätigt Faschist genannt werden dürfe und Gauland, der für die Mitte der Partei stehe und dafür wirklich sehr rechts sei. Geritos schreibt für ihn sei die AFD die CSU der 70er/80er Jahre.
Nun steigt nina mit ein und schreibt, sie sei genervt. Für solche Diskussionen sei der Chat nicht da. Tini Tini schreibt, sie dachte es gehe hier nicht um rechst oder links. Das nerve. Es müssten viele Leute lesen, die ’sich hier nicht politisch in die Extreme einordnen wollen‘ – dafür erhält sie Zustimmung von Geritos und Tini Tini (‚das trage nur zur Spaltung bei‘). Thorben… wird von Geritos gefragt, ob er überhaupt schon mal auf ’nem Spaziergang gewesen sei, dieser bejaht. Ob er da Nazis gesehen habe – wieder ein ‚ja‘. Thorben… führt aus „mehrere AFD Leute, eine bekannte rechte Youtuberin, NPD und neue Stärke“. Geritos fragt daraufhin, ob man denn mit Linken laufen dürfe . Thorben… sagt er sei raus. Whataboutism mache es unmöglich, in dieser Gruppe sachlich zu diskutieren. Harald schreibt, dass jeder sich entscheiden dürfe, ob er mit Menschen, die gegen die Maßnahmen sind, spazieren gehen möchte oder nicht. Keine Ideologien. Linksextremisten, Rechtsextremisten, Gewaltbereite, zur Gewalt ‚aufrudernde‘ seien unerwünscht. Sie sollen bitte ihren eigenen Kanal aufmachen. Tini Tini schreibt, sie sei für Inklusion. Harald drückt auf gefällt mir. Inklusion für wen, fragen wir uns – sagte Harald nicht gerade eben noch, es sei kein Platz in dieser Gruppe für sowohl Links- als auch Rechtsextremisten ? Das hat er wohl nur zwei Sätze später wieder gänzlich vergessen, wenn es ihm gefällt, dass ‚Inklusion‘ von Rechtsextremen gefordert wird und das Kritisieren von und Hinweisen auf Rechtsextremismus in den eigenen Reihen als ‚Spalterei‘ abgetan wird.
Harald schreibt, die Diskussion sei hiermit beendet. Er werde sie im Laufe des Vormittages löschen. Beiträge, die sich auf linksextreme oder rechtsextreme Quellen beziehen würden, werde er ebenfalls löschen. Er wünsche allen einen schönen, friedvollen Sonntag voller Nächstenliebe und schickt sogar noch drei weiße Friedenstauben(-emojis) hinterher. Wie gut, dass wir Screenshots gemacht haben. Als Leute, die die Nachrichten erst ein paar Minuten später gelesen haben fordern, die ‚Störenfriede‘ aus der Gruppe zu entfernen, antwortet Harald, sie hätten die Gruppe schon von selbst verlassen. Thorben… sei ein von der Bundesregierung bezahlter Troll gewesen, heißt es dann. Drea_SH schreibt, hier gebe es weder Rechts noch Links, sie seien eine Menschenfamilie… wer sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden könne, der sei in dieser Runde verkehrt! Sie wünsche einen entspannten Sonntag <3 . Fünf Andere liken diesen Kommentar. Dass hier gerade zwei der wenigen Menschen aus der Gruppe gegangen (worden) sind, die sich trauen die offensichtliche, problematische Nähe der Querdenken-Bewegung zum Rechtsextremismus anzusprechen und zu kritisieren, scheint hier keine*n zu stören. Im Gegenteil, nun ist es endlich so, wie die meisten dort es sich wünschen : ‚friedlich‘. Das heißt für sie ohne Diskussion, einig und ‚ungespalten‘ – auch wenn das bedeutet, dass eben Faschos mit in diesen engen Familienkreis gehören.
Doch eine friedliche, befreite Gesellschaft geht nicht ohne Streit und Diskussion, ohne Reibung. Es ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass ein besseres Miteinander gelingen kann. Wir müssen lernen zu streiten, ohne uns gegenseitig zu verletzen – sodass wir nach unser aller Bedürfnisse aushandeln können, was es für ein gutes Leben für jede*n braucht. Bei Querdenken geht es also um ‚Einheit‘ und ‚an einem Strang ziehen‘ – und das ist nicht freiheitlich, sondern gefährlich.

Von Nestbeschmutzer*innen, Rotzgören und staatlich finanzierter ‚NaziFa‘ – Gewaltfantasien und deren Umsetzung im Querdenken-Kontext

Und auch die eben angeschnittenen Aussagen bezüglich der Gewalt müssen hinterfragt werden. Wenn Harald schreibt, für Linksextremisten und Rechtsextremisten gäbe es keinen Platz in der Gruppe – damit aber letzten Endes meint, Rechtsextreme seien herzlich willkommen und müssten inkludiert werden, während kritikübende ‚linksextreme Trolle‘ die Gruppe bitte schnellstmöglich verlassen sollen, bleibt zu fragen was er denn nun wirklich meint, wenn er schreibt, es sei auch kein Platz für Gewalt und zu Gewalt ‚aufrudernde‘.
Um das zu überprüfen, wurden zum einen allgemein hasserfüllte Posts aus allen Gruppen, aber auch die aus 303 Kommentaren bestehende Diskussion unter einem Video in der Gruppe ‚Flensburg für Grundrechte‘ angeschaut.
So leitet Lore in der Gruppe ‚Kiel steht auf‘ regelmäßig Artikel und Memes des Kanals ‚Global Patriots‘ weiter, die sehr transfeindlich, generell sexistisch und ableistisch sind. Zum Beispiel teilt sie Texte die aussagen, was für eine kranke Welt es sei, wenn Männer nicht mehr Männer seien. Auch gibt es ein Meme der Seite Global Patriots, das unter der Überschrift ‚Vor der Impfung‘ ein Foto von Bill Gates (der ein reicher Unternehmer ist und in der Pandemie schon oft Ziel von Verschwörungserzählungen wurde, in denen behauptet wird, er habe das Virus erfunden um eine Massenimpfung zu rechtfertigen usw.)zeigt. Rechts daneben unter der Überschrift ’nach dem Booster‘ ein Foto von dem behinderten Astrophysiker Stephen Hawking. Ein anderes sehr beliebtes Ziel des Hasses der Seite sind grüne (trans) Frauen. So gibt es dort zahlreiche Memes, die einzig und allein das Ziel haben, die Grünen-Politikerin Ricarda Lang zu diskreditieren und sich über sie lustig zu machen – fast ausschließlich, indem ihr Körper abgewertet wird. Sie sei ein gutes Symbol für die Grünen momentan – keine Ausbildung, nie gearbeitet und Stammkundin bei ‚McDreck‘ (McDonalds). Ein anderes Meme zeigt eine riesige, fast menschengroße McDonaldstüte, die von zwei Menschen getragen wird. Die Überschrift : ‚Beeilung, Ricarda Lang will frühstücken !‘.
Und auch die grüne trans Frau Tessa Ganserer wird regelmäßig Ziel des Hasses vieler Gruppenmitglieder. Zum Beispiel teilt (wieder Lore) ein Foto von ihr mit der Überschrift ‚Mit Glied im Bundestag‘. Wieder keine Kritik, kein ‚Hey Leute, das ist echt geschmacklos und verletzend‘, sondern nur lachende Smileys und Zustimmung von den anderen Gruppenmitgliedern.
Auch die Klimagerechtigkeitsbewegung kommt in den Gruppen nicht gut an. Matthias L. schreibt ‚Corona Schwindel, Klima-Schwindel und Transgender‘ seien verschiedene Seiten der gleichen Agenda. Es werden fast täglich Beiträge geteilt oder auch selbst verfasst, in denen die ekelhaften Gewaltfantasien der Querdenker*innen gegenüber Aktivist*innen (z.B. des ‚Aufstandes der letzten Generation‘, die kürzlich in Berlin mit ihren Ankleb-Aktionen und Blockaden auf das Thema Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen wollten) dargelegt werden. Klimaproteste in Berlin seien ‚Ökofaschismus‘, Mitte gegen Marzahn, Aktivisten gegen sanfte Handwerker. Skorpion dazu : „Ich hätte den auf der Straße festkleben lassen. Ist doch geil, wenn ein aufgebrachter Trucker ihm eine knattert, ohne dass er weglaufen kann 😀 😀 😀 (…)“. Auf ein Video eine*r Aktivist*in, die sich in Berlin mit der Hand an eine Glasscheibe festgeklebt hat meint er „Den Arm könnte man auch amputieren… unterhalb des Halses ! 😀 Wie dämlich ist die bitte?? Die Polizei macht das schon…“ (gefällt Lore). Sie wiederum teilt mehrfach ein fast 1-minütiges Video, in dem ein aggressiver Mann/Autofahrer zu sehen ist, der ein*e Klimaaktivist*in vom Aufstand der letzten Generation ins Gesicht schlägt. Diese Szene ist in einen Loop geschnitten, sodass sich der Schlag immer wieder wiederholt. Dazu steht geschrieben : „Wer den Tag mit einem Lächeln beginnt, hat ihn bereits gewonnen 😀 das hat gesessen 😀 😀 😀 Achtung Suchtgefahr ! :D“
Zu guter Letzt gibt es dann noch Antifaschist*innen, die zum Feindbild erklärt werden. Das Verhalten der Gruppenmitglieder ist paradox : Immer wieder wird betont, wie lächerlich die Antifa doch sei, zahlenmäßig stark unterlegen und sowieso seien das ja alles bloß Kinder, deren Eltern die Erziehung vergeigt hätten, die nix können würden, außer laut schreien und nerven. Auf der anderen Seite geht es dann im Chat doch erstaunlich oft um sie dafür, dass sie angeblich so unbedeutend sind. ‚Der‘ Antifa (die als eine zentrale Organisation bzw. ein Verein wahrgenommen wird, in den mensch eintreten kann) werden die verschiedensten Eigenschaften zugeschrieben – XxYy zum Beispiel schreibt : „Weil das kleine frustrierte Kinder sind, die früher in der Schule gemobbt wurden und jetzt durch politische Korrektheit und ‚Gutmenschentum‘ ihre Minderwertigkeitskomplexe kompensieren, wenn du die ansprichst, rennen die auch sofort weg, wie kleine feige muschis“. Der Mensch selbst bezeichnet sich als ‚Anti-Antifa – ein Leben lang!‘ In stark relativierender weise schreibt er auch, dass die Antifa marxistische Kommunisten seien, das wiederum befinde sich auf der gleichen Stufe wie faschistische Nationalsozialisten und wer wie er aus Polen komme, der wisse, dass Kommunisten und Nazis EXAKT der gleiche Scheiß sei; des weiteren käme bei der deutschen Antifa noch hinzu, dass sie antideutsch und gegen die eigenen Werte sei. Feinde des eigenen Volkes also, sie verherrliche den faschistischen Islam, aber hasse das Christentum, das liege in ihrer Natur alles eigene zu hassen. Die Antifa sei die größte Gefahr für das eigene Volk. Das schließt natürlich direkt an die oben im Text beschriebenen Aspekte Antisemitismus, NS-Relativierung und Bezüge zum Rechtsextremismus an – hinzu kommt hier noch die Unterteilung in deutsche Antifa, die antideutsch (an anderer Stelle ‚zionistisch‘) eingestellt sei und die Antifa in Ländern wie Frankreich. Genauso bei Skorpion, der schreibt, dass die Antifa anfangs auch gegen den Coronascheiß war, dann hätten sie bemerkt, dass die AFD sich dem angenommen hätte und hätten danach aus Prinzip dagegen sein müssen. Sie hätten alle Prinzipien über Bord geworfen und seien zum Kapitalismus konvertiert, seien nun keine Antifa mehr, sondern die großkapitalistische ‚SA/SS der Pharma- und Geldverleiherindustrie‘. Auch diese paradoxe Denkweise, dass antifaschistische Aktivist*innen der faschistischen SA/SS gleichen würden und die Querdenker*innen die eigentlichen Antifaschist*innen seien, ist weit verbreitet und wird nicht nur von Skorpion geteilt. Begriffe werden hier also willkürlich verdreht und umgedeutet, je nachdem wie es gerade in die jeweilige Erzählung hineinpasst. Um nun noch zwei letzte Beiträge zu erwähnen, die in diese Richtung gehen (für den es aber noch zahlreiche weitere Beispiele gegeben hätte…) : Germanicus meint, er wisse nicht, was das Gefasel von Antifaschismus überhaupt solle. Das sugeriere schließlich gleichsam, alle anderen seien Faschisten, es habe in Deutschland zudem nie Faschismus gegeben, der gehöre nach Italien. Die Antifa hingegen habe schon in den 70ern Veteranentreffen und politisch rechte Veranstaltungen zu verhindern und zu stören versucht, schon in den 90ern Listen und Fotos gemacht, Gewalt als Mittel ihrer Politik angewendet und für probat gehalten. Sie habe schon damals Nestbeschmutzung betrieben, die Kriegsgeneration verunglimpft, für einen krankmachenden Schuldkult geworben, Traditionen und die klassische Familie verhöhnt, einer zügellosen Einwanderung das Wort geredet und für die Auflösung von Volk und Nation gekämpft, die Existenz einer deutschen Kultur letztlich sogar geleugnet und bolschewistische Ideen verherrlicht. Das sei alles radikal und oft antideutsch und wenig freiheitlich gewesen. Wichtig ist hier noch zu erwähnen, dass es wiedermal selten und wenn überhaupt nur sehr zurückhaltende und eingeschränkte Widerrede im Chat gab. Auch die weniger radikal/offen rechts eingestellten Menschen haben in ihren Nachrichten der Wut auf die Antifa Luft gemacht – dann weniger mit Begriffen aus der recht(sextrem)en Szene aufgeladen, aber nicht weniger hasserfüllt.
Dieser Hass führt dann auch zu Nachrichten wie folgender : Skorpion schreibt (im Bezug auf ein geteiltes Video, in dem eine Gruppe Antifaschist*innen durch eine S-Bahn gegangen ist und Leute dazu aufgefordert hat, die Maske richtig aufzusetzen), er mache bei der Antifa keinen Unterschied mehr zwischen Man oder Frau, das gebe es bei denen eh nicht mehr. Wer seine Familie beleidige, werde in die Welt der Schmerzen befördert.
Und auch der Weg vom bloßen Schreiben und Fantasieren im Chat bis hin zum tatsächlichen Angriff lässt nicht lange auf sich warten : Im folgenden soll es um die Diskussion um die Gewalt am Montag, den 07.02.2022 in der Gruppe ‚Flensburg für Grundrechte‘ gehen.
Ein Spaziergänger schlug eine*r 16-jährigen Antifaschist*in, die an einer Störungs-/Blockadeaktion mit Transpi teilnahm, mehrfach mit der Faust ins Gesicht, sodass der Mensch tagelang ins Krankenhaus musste. Der Kanal hat am Dienstag, den 08.02.2022 um 21:45 Uhr ein Video von dem Vorfall geteilt, auf dem mensch die betroffene Person vor Schmerzen schreien hört und den Täter lachen. In das Video ist die Schrift ‚Wir distanzieren uns von Gewalt ! Bleibt bitte friedlich! ‚ eingefügt. Unter dem Video steht der Kommentar ‚In diesem Sinne sei hier darauf hingewiesen. Spaziergänger sind friedlich, Spaziergänger bleiben friedlich. Egal wie schwierig es manchmal ist. Egal, wie ungerecht es oft ist.‘. Die Kommentare unter dem von der Gruppenleitung/Moderation geteilten Beitrag zeigt, dass sich da offensichtlich nicht alle so einig drüber sind, wie das ständige betonen des ‚friedlichen‘ Charakters der Demos sugerriert. Zunächst gibt es einiges an Zuspruch für den Beitrag; einige Leute freuen sich über dieses ‚klare Statement gegen Gewalt‘ und meinen, das Video zeige, dass die Aggression klar vom Spaziergänger ausgehe. Der betroffenen Person wird eine schnelle Genesung gewünscht. Bald darauf kommen aber andere zu Wort die meinen, die Qualität des Videos bzw. der Zustand der Dunkelheit würden keine Rückschlüsse über den Fall zulassen, da es nicht erkennbar sei, was vorgefallen ist. Wieder andere sagen, dass Gewalt zwar nicht die beste Lösung sei, obwohl die Antifa in menschs Augen fast darum bettele. Weiterhin fragt der Mensch woher man sich denn sicher sei, dass es sich um ein junges Mädchen handele – schließlich seien sie alle vermummt gewesen. Es tue ihm leid für sie, aber sie habe sich eben auch auf ein gefährliches Pflaster begeben. In seinen Augen ist die Aktivist*in also selbst schuld – und auch andere sehen das so. Meinen sogar, der Mensch habe es verdient und hätte die Gewalt durch Provokation und dem Video vorausgehende eigene Gewalt selbst verschuldet. Michi.. meint er sei Zeuge, habe alles gesehen. Das ‚Mädchen‘ sei hysterisch gewesen und habe den Täter zuerst angegangen, er habe daraufhin erst zurück geschubst, woraufhin sie ihn sehr aggressiv angegangen sei und versucht habe ihn zu schlagen. Daraufhin habe er nur reagiert. Michi.. bewerte hier aber ‚mal gar nix‘., der Schuldkult gehe ihm auf den Nerv. Jan-E. Stimmt zu und Marita meint, es sei sicher nur Notwehr gewesen, Daniel schreibt, wer sich in den Weg stelle, habe es verdient (geschlagen zu werden). Andreas sagt, dass unsere Kinder ja auch jeden Tag durch die Maskenpflicht in der Schule Gewalt ertragen müssten, dies sei fortwährende Quälerei, so Daniel. JoergX. schreibt, es sei ihm auch schon ‚ausversehen‘ passiert, dass er reflexartig einer Antifa den Ellbogen ins Gesicht geschlagen habe, Notwehr. Die andere Wange hinhalten sei keine Option, sie würden es darauf anlegen. Danach geht es dann nicht mehr um den konkreten Vorfall, sondern um die antifaschistische Szene in Flensburg insgesamt. Sie bestehe aus Kindern, die von erwachsenen ‚Rädelsführern‘ indoktriniert würden usw.
Natürlich ist auch zu konstatieren, dass es einiges an Widerspruch gibt, wenn es tatsächlich zur Umsetzung von Gewalt kommt. Während bei den menschenfeindlichen, oft weitergeleiteten Beiträgen so gut wie nie irgendwer widerspricht, bleiben hier zum Glück nicht alle Gruppenmitglieder still. Allerdings gibt es sogar noch ein wenig mehr Menschen, die dann mit diesen Menschen diskutieren, und die Gewalt gegen Menschen rechtfertigen. Das passiert solange, bis die Diskussion im Sande verläuft. Wirkliche Konsequenzen hat das nicht und auch die Moderation/Gruppeninhaber*innen mischen sich nicht ein. Und so laufen sie weiter Schulter an Schulter zusammen durch die Straßen Flensburgs – und werden sich zwar in der Gruppe empören, wenn sich wieder mal einer ‚vergisst‘ und andere Menschen ins Krankenhaus prügelt, weil sie ihm im Weg stehen auf seiner unangemeldeten Demo – aber das ändert nichts daran, dass sie zusammen gehen und sich grundsätzlich einig darin sind, dass ‚die‘ Antifa vom Staat bezahlte Linksextremisten sind, die auf der Seite des Feindes stehen.
Noch paradoxer wird es, wenn mensch sich die Reaktion der Gruppenmitglieder auf die staatliche Reaktion auf die Corona-Proteste in Kanada anguckt : Dieselben Menschen, die eben noch Antifaschist*innen wünschten, dass sie verletzt werden und die Polizei sich ‚um sie kümmert‘, sind nun schwer empört über die aus ihrer Sicht unvergleichbare Gewalt gegen Corona-Demonstrierende. Ihre Empörung geht sogar so weit, dass Bilder geteilt und für gut befunden werden, auf denen zwei Demonstrierende in Kanada, die vor der Polizei mit den Händen auf dem Rücken gefesselt knien und vier Männern in orangener Kleidung, die vor ihrer Ermordung/Hinrichtung in der Wüste vor Terroristen (IS?) knien miteinander verglichen werden. ‚You are either on the side of the people being trampled by a horse or the side of those doing the trampling. There is no more indifference possible now.‘ heißt es als Reaktion auf ein Video, in dem eine Demonstrierende in Kanada von einem Polizeipferd zu Boden getreten wird – wie seltsam, wenn mensch bedenkt, dass kurz vorher noch der Antifa und den Klima-Aktivist*innen das Schlechteste gewünscht wurde. Auf welcher ‚Seite‘ genau seid ihr nun ?

Polizei

Apropos unangemeldete, als ‚Spaziergänge‘ geframte Demonstrationen und Gewaltfantasien der Querdenken-Bewegung : Was macht eigentlich die Polizei dagegen ? So wie es scheint nicht sehr viel, denn die zahlreichen, dezentralen und nicht angemeldeten Spaziergänge werden weder gekesselt und verboten, noch werden die Teilnehmenden aggressiv angeschrien, geschubst und auf den Boden gedrückt, ihre Personalien aufgenommen oder sie in der Gesa (Gefangenensammelstelle) festgehalten und ihre Fingerabdrücke genommen – so wie es bei jeder linken (/linksradikalen) unangemeldeten Demo passieren würde. Stattdessen freuen sich die Querdenker*innen über die netten, hilfsbereiten Polizisten, die sie auf ihren Spaziergängen begleiten und beschützen und bedanken sich in den Gruppen regelmäßig genau dafür. Die fehlenden Konsequenzen kommen ihnen gerade recht, denn es hat neben geschmacklichen auch noch andere Gründe, weshalb viele die unangemeldeten dezentralen Spaziergänge den größeren, zentralen und mit den Behörden abgestimmten Demonstrationen vorziehen : Menschen müssen sich nicht an Auflagen wie die Maskenpflicht oder Abstandsgebote halten. Nicht, dass wir uns für mehr Repressionen und eine härter bestrafend agierende Staatsmacht freuen würden. Im Gegenteil, anders als sie wünschen wir uns eben nicht, dass sie leiden und von der Polizei Gewalt erfahren. Doch sorgt es bei uns für sehr großes Unverständnis, dass wir auf der einen Seite wissen, wie gefährlich diese Bewegung ist und wie das bereits zu realer Gewalt geführt hat – auch hier in Schleswig-Holstein – und auf der anderen Seite dann jede Woche zu spüren bekommen, dass die Polizei anscheinend die Gefahr einzig und allein bei uns sieht. Zum Beispiel, wenn wir zu dritt auf dem Bürger*innensteig stehen und uns eigentlich gerade verabschieden wollen, als auf einmal vier Wannen angefahren kommen, aus denen gleich mehrere Cops steigen und sich um uns bzw. zwischen uns und der Straße aufbauen. Zuerst verstehen wir nicht ganz warum – haben wir doch nichts getan, als uns in der Nähe des Auftaktes zur wöchentlichen Querdenken Demo zu befinden, die allerdings schon lange weg ist. Hier müssen wir nun warten, bald hören wir schon Stimmengewirr und wissen, warum wir so gründlich bewacht werden : Anscheinend kommen die Querdenker*innen genau an dem Ort vorbei, den wir uns zum Verabschieden ausgesucht hatten und die Polizei denkt allen Ernstes, wir wollen zu dritt die Straße blockieren. Das Gleiche gilt für die engagierten Antifas in Flensburg, die sich jede Woche wieder den unangemeldeten (!!!) Spaziergängen in den Weg stellen, und dafür dann von der Polizei festgehalten werden, Personalien angeben müssen und Platzverweise erhalten – sie hätten nämlich eine von der demokratischen Verfassung geschützte politische Versammlung gestört. Dieses absurde Verhalten beweist nur wieder einmal, dass auf die Polizei kein Verlass sein kann, denn es geht ihr überhaupt nicht darum, Menschen vor Gewalt zu schützen und Recht und Ordnung durchzusetzen. Es ist offensichtlich, dass ihr Interesse wieso oft viel mehr darin liegt, linke, antifaschistische Gruppen zu observieren und zu kriminalisieren.

Aber solange die nur friedlich spazieren gehen ist doch alles gut…

Nein. Die Recherche der letzten Wochen hat gezeigt, dass das Problem bei den ‚Spaziergängen‘ von Querdenken eben nicht nur ein paar vereinzelte Nazis und Reichsbürger*innen sind, sondern vielmehr die gesamten Strukturen von (Toleranz und Akzeptanz für) Antisemitismus, Rassismus, Nähe zu rechtsextremem Gedankengut und – manchmal latenter, manchmal sehr offener – Gewaltbereitschaft durchzogen sind. In was für einer Welt Querdenker*innen leben wollen, verdeutlicht ein Beitrag, der erst gestern in der Gruppe ‚Kiel steht auf‘ geteilt wurde und der viel Zuspruch, dafür keinerlei Kritik bekam : „Wenn Putin nach Berlin durchmarschiert… – fällt das Gendern weg – sind Männer Männer u. Keine Frauen – wird der Strom billiger – wird der Sprit billiger – wird die Islamisierung beendet – Linksgrün wird eingesperrt. Also meine Entrüstung hält sich in Grenzen !“ Wen das nicht entrüstet, der*die sollte dringend mal einen Blick in die Geschichtsbücher werfen, denn dieser geäußerte Wunsch nach einem ’starken, echten, großen‘ Mann, der ‚hier mal aufräumt‘, und für’s eigene Volk Autobahnen baut – ähhh, den Sprit billiger macht, kommt uns leider nur allzu gut bekannt vor.
Nun könnte mensch argumentieren, dass die Quellenbasis, auf der diese Recherche beruht ja nicht alle Leute, die sich an Querdenken beteiligen, berücksichtigt. Fakt ist aber, dass die Telegramchats das wichtigste Kommunikationsmittel der Szene sind und dass die extrem große Anzahl der problematischen Beiträge, die dort stündlich erscheinen Beweis genug sind, um sich der Bewegung in den Weg zu stellen. Wer meint, all das nicht mitzubekommen, muss sich wirklich sehr, sehr, sehr viel Mühe dafür geben und sämtliche Anzeichen gewollt ignorieren.
Sie können noch so viele schöne bunte Lichterketten tragen, noch so oft betonen, wie ‚weltoffen‘ und friedlich sie angeblich sind und noch so viele peinlich-unpassende Zitate in ihre Aufrufe schreiben.
Wir kaufen ihnen das nicht ab und wir werden sie im Auge behalten, denn auch wenn die Teilnehmendenzahlen im Moment zu stagnieren oder sogar sinken scheinen – das bei den jetzigen Aktiven vorhandene Gewaltpotenzial und auch der Antisemitismus und Rassismus wird mit Ende der Maßnahmen nicht einfach verfliegen. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass einige Menschen durch die Chats noch weiter hineingezogen wurden und werden in diese menschenfeindlichen Denkweisen und das ist ein Problem.