oder: Als hätten wir sonst nichts zu tun
Früher oder später geht es vielen Aktivist*innen so: ein*e Gerichtsvollzieher*in kündigt sich an, um Geldforderungen unsympathischer Konzerne oder Gerichte einzutreiben. Für wen das noch nicht zum politisch-aktivistischen Alltag gehört, der oder die mag nachvollziehbarer Weise davor etwas Angst haben, dass da nun staatlich bestellt Menschen vorbeikommen, um in der eigenen Unterwäsche nach versteckten Goldbarren zu suchen, die gepfändet werden könnten. Erfahrungsgemäß sind solche Hausbesuche halb so schlimm, einfach weil unsereins ja nun wirklich auch nix hat, was uns weggenommen werden könnte, woraus sich – wohlgemerkt aus Sicht eines Gerichtsvollziehenden – lohnend Geld machen könnte. Stück in drei Akten aus unterschiedlichen Perspektiven.
Akt 1
Nun hatte sich also am Montag eine solche Gerichtsvollzieherin angekündigt bei einer mittellosen Aktivistin, aber als auf ein Klingeln (auf eine defekte Klingel) nicht geöffnet wurde, klingelte die Gerichtsvollzieherin kurzerhand bei Nachbar*innen, um ins Treppenhaus zu gelangen. Statt nun aber zumindest einmal in den ersten Stock zu laufen und dort an der Wohnungstür die (intakte) Klingel zu nutzen oder zu klopfen, warf sie schlicht und einfach einen Zettel in den Briefkasten, die betreffende Aktivistin sei nicht zuhause gewesen. War sie aber, weil der Besuch der Gerichtsvollzieherin ja per Brief angekündigt worden war. In besagtem neuen Schreiben stand nun, sie würde es zwei Tage später erneut versuchen und wenn die Schuldnerin dann nicht anzutreffen sei, könne auch eingebrochen werden in ihre Wohnung. Für eine regulär arbeitstätige Person, die sich frei genommen hatte für den Besuch der Gerichtsvollzieherin, schlicht unmöglich.
Wir fanden das doch sehr unhöflich und überheblich und entschieden uns, darauf mit einer Spontandemo vor dem Büro der Gerichtsvollzieherin zu reagieren. Wir fuhren also zurim angegebenen Adresse in einen Kieler Vorort, landeten in ländlicher Idylle zwischen Pferden, Wiesen und Vögeln und klingelten. Neben der Gerichtsvollzieherin selbst kam nun auch noch ein Mann – vermutlich ihr Partner – heraus und nach einer kurzen Debatte verwies sie uns spürbar um Fassung bemüht des Grundstückes und er warf mit Morddrohungen um sich. Er werde uns die Kehle aufschlitzen und uns umbringen zeterte er. Sie hatte daraufhin sichtlich Mühe, ihn nach drinnen zu schicken, wo er jedoch nicht lange verweilte, sondern stattdessen kurz darauf mitsamt Kampfhund wieder raus kam. Das wurde dann wiederum von ihr, die mittlerweile die Polizei angerufen hatte, mit „Das ist nicht dein Ernst?“ beantwortet, bevor sie ihn, nun noch rabiater als zuvor, ins Haus schob und die Tür hinter ihm zumachte.
Während wir uns noch Gedanken machten ob der zweifelhaften Harmonie dieser Beziehung deren Beobachtung doch schon ein beeindruckendes Schauspiel war, kamen nun also mit Sirene gleich drei Polizeifahrzeuge und so wurde unsere Demo (die aus fünf Leuten bestand) nun von acht Beamten begleitet. Dass die Polizei von uns lediglich eine Versammlungsleitung verlangte und die Demo nicht auflöste oder wegschickte, schien der Gerichtsvollzieherin dann auch absolut nicht zu passen.
Sie weigerte sich zwar, mit irgendwem von uns außer der konkret betroffenen Aktivistin zu reden, aber knickte spürbar unter dem Druck ein und kündigte schließlich doch an, einen Termin im Büro im Gericht mit der Aktivistin zu verabreden. Nach dieser Ankündigung wartete sie jedoch auf die Polizei ohne auf weitere Kommunikationsversuche einzugehen. So weigerte sie sich auch der Betroffenen mitzuteilen, worum es überhaupt bei der Pfändung geht (was auch in keinem ihrer Schreiben stand).
Auch noch anwesend war ein älterer Herr (vielleicht ihr Vater? Oder sein Vater?), der nicht so wirkte, als würden ihn die gewalttätigen Drohungen oder der allgemeine Umgangston auf dem eigenen Grundstück besonders verwundern oder stören. Er beobachtete uns interessiert und meinte schließlich, wenn wir eine Demo seien,
bräuchten wir doch auch ein Banner. Wir schrieben daraufhin unsere Analyse mit einem Marker auf einen Pizzakarton: „Gerichtsvollzieher*innen schützen die Reichen und den Staat und machen Arme noch ärmer. Voll Scheisse!“
Die Gerichtsvollzieherin versuchte (mit beeindruckender Überheblichkeit und Arroganz, als sei sie die, die das zu bestimmen habe), die Polizei dazu zu bringen, das Handy der Versammlungsleiterin beschlagnahmen zu lassen und als ihr das misslang (es gab lediglich den Hinweis, dass etwaige Fotos nicht veröffentlicht werden dürften gegen den Willen der Abgebildeten), versuchte sie sodann über die Polizei an die Personalien der Demonstrierenden zu gelangen, was ihr jedenfalls vor Ort auch nicht gelang und sie sichtlich frustrierte.
Wir demonstrierten also noch eine Weile vor uns hin, bevor wir dann schließlich amüsiert wieder nach Hause fuhren und uns auf dem Weg darüber unterhielten, dass allein so ein blauer Amstaff-Terrier deutlich über tausend Euro kostet.
Akt 2
Zwei Tage später kommt trotz der vor Ort mitgeteilten Ankündigung, dass die betroffene Person zu dem Zeitpunkt lohnarbeiten sein werde, die Gerichtsvollzieherin wieder an der Wohnung vorbei, klingelt diesmal richtig und hat auch gleich zwei Cops mitgemacht. Ein Mensch öffnet in Bademantel und hat am Abend sichtlich Spaß daran, zu erzählen wie die Bullen erfolglos versucht haben, einschüchternd auszusehen. Die beabsichtigte Wirkung Mitbewohner*innen einzuschüchtern, zum Glück verfehlt, nur ein Brief wurde trotzdem weiter gegeben mit Ladung zum Termin zur Abgabe einer Vermögensauskunft.
Akt 3
Auf geht‘s zum Gericht, mit allerlei Unterlagen, durch die Einlasskontrolle, die Justizwachtmeister kennen mich schon. Zwei davon begleiten mich heute die ganze Zeit, kommen auch mit in den Raum der Gerichtsvollzieherin und verweilen dort, was mich nervt, aber auch ziemlich amüsiert (so gefährlich bin ich also?), sodass ich unter der Maske grinse. Sie hat Angst mit mir allein zu sein und verweist auf die Demo vor ihrem Haus als Begründung dafür. Demonstrationsrecht würde vor ihrem Haus nicht gelten, erklärt sie auf Nachfrage. Dass die Cops vor Ort das auch anders sahen, interessiert sie nicht weiter. Es ist schon spannend, dass eine Person die tagtäglich in die Wohnungen anderer Menschen eindringt und darin keinerlei Probleme sieht, sich bei einer Ansammlung von fünf Menschen auf der Straße von ihrem Haus derartig bedroht sieht. Ob sie den Zusammenhang überhaupt nicht erkennt?
Es folgen Belehrung, Abgabe von Unterlagen die ich mitgebracht habe, Fragen nach meinem Einkommen und ob ich irgendwas wertvolles besitze. Beantworte ich alles. Dann geht es irgendwann um Miete und Untermiete und weil ich in der WG die Hauptmieterin bin, sage ich dass es da natürlich Untermietverträge gibt, ich die aber nicht mit habe. Daraufhin bricht sie sofort alles ab und sagt dann würde sie eben Haftbefehl erlassen. Nach ein bisschen Geplänkel darum dass ich aus einer groben Auflistung natürlich nicht genau weiß was für Unterlagen ich mithaben soll, kündigt sie schließlich an, dass ich in einer Woche damit wieder kommen soll. Als ich dann unterschreiben soll, dass ich auf jeden Fall nächste Woche wiederkomme und dann alles abgebe, weigere ich mich, schließlich hab ich mir das ganze nicht ausgesucht und werde dazu wohl kaum meinen Willen bekunden. Daraufhin macht sie mit Freude die Ankündigung, dass sie dann doch mit Haftbefehl und mindestens vier Cops kommen werde und ich meine Mitbewohner*innen schon mal drauf vorbereiten soll. Mir ist das alles zu bunt, sodass ich entgegne: „na dann machen sie halt“. Süffissant wünscht sie mir noch einen schönen Tag.
Ich bin ein bisschen verdutzt, als ich dann draußen stehe und dem trotzdem kommenden Haftbefehl, obwohl ich doch da war, weil ich keine Lust drauf hatte. Aber ne, ich lass mich auch einfach nicht beliebig klein machen und schon gar nicht von wem, wer da offensichtlich gerne versucht, Leute einzuschüchtern. Klar ist das alles andere als einfach, aber irgendwie ist es auch gut, nicht klein beigegeben zu haben und so richtig was schlimmes kann auch eigentlich nicht passieren, weil das mit dem Haftbefehl eben nur zur Abgabe der Vermögensauskunft geht und sobald ich die abgegeben habe, sie mich auch wieder frei lassen müssen. Wie ein Haftbefehl dazu
helfen soll, dass ich Unterlagen habe, beantwortete sie nur mit dem Hinweis, dass ich ja dann zu Hause sei und das alles hätte. Na warten wir mal ab.