Am heutigen 16. November 2020 endete vor dem Amtsgericht Kiel eine Klage gegen eine Klimaktivistin mit einer Verurteilung. Der Angeklagten wurde vorgeworfen, sich gegen eine Festnahme gewehrt zu haben – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen.
Der Vorfall ereignete sich am Rande des bunten Straßenprotests am 26. April 2019, wo mehrere hundert Menschen für eine Verkehrswende protestierten und dabei insbesondere bessere Lösungen für die schlechte Luftqualität auf den Straßen Kiels forderten. Dabei intervenierten sie symbolisch mit einem spontanen Straßenfest auf dem Theodor-Heuss-Ring, was die Luftwerte nachweislich temporär verbessern konnte.
Der große Showdown dazu blieb am heutigen dritten Verhandlungstag am Amtsgericht allerdings aus. Nachdem von der Verteidigung die letzten Beweisanträge gestellt wurden, lehnte das Gericht auch diese – wie alle anderen 25 Beweisanträge, die insgesamt gestellt wurden – mit der Begründung ab, dass „die Beweiserhebung für die Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ ist. Die „Wahrheit“ schien für den Richter Dr. Schwarz schon vorher festgestanden zu haben. Daraus machte er auch keinen Hehl. Schon am zweiten Verhandlungstag vor zwei Wochen gab er in einem Randsatz zu, dass all die vorgetragenen Anliegen der Verteidigung „in der Berufung geklärt werden“ könnten. Daher überraschte die Urteilsverkündung auch nicht: Der Richter folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte die Beschuldigte zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen.
Bei der Urteilsbegründung sprach der Richter auch darüber, dass die Verhandlung durchaus deutlich machte, dass das Tatgeschehen in einer unübersichtlichen Lage stattgefunden haben muss und dass auch nach Aktenlage die Behörden nicht immer richtig gehandelt haben konnten.
So blieb durchweg in der Verhandlung fraglich, ob der Zugriff der Polizei auf die Menschenmenge, als die Straßenblockade von der Fahrbahn geräumt wurde, rechtmäßig war. Warum sollte die Demonstration aufgelöst werden? Wurde sie überhaupt aufgelöst? Wenn ja, wie und durch wen zu welcher Uhrzeit?
Für den Richter schien das Sitzenbleiben der Versammlungmenge auf der Straße, als die Polizei sich ihnen näherte, nicht per se rechtwidrig zu sein – eine im Raum stehende Ordnungswidrigkeit stehe „auf wackligen Füßen“, so der Vorsitzende – doch nach Einschätzung des Gerichtes sei dies alles unerheblich.
Der Richter war davon überzeugt, dass die Polizist*innen zu Recht davon haben ausgehen können, dass ihr Handeln rechtmäßig war, als sie gewaltsam die Personengruppe von der Fahrbahn entfernten, auch wenn die Aussagen der (ausschließlich polizeilichen) Zeug*innen vor Gericht Details zum genaueren Tatablauf vermissen ließen. Der Verdacht konnte nicht final ausgeräumt werden, dass die Polizei rechtswidrig handelte. Doch im Zweifel sei dies für die Polizist*innen auszulegen.
So ließe sich die Tathandlung der Angeklagten, als sie sich den Polizeikräften ausgesetzt sah, für den Richter isoliert betrachten. Er ließ sich davon überzeugen, dass die Angeklagte versucht haben soll, sich der Festnahme zu entziehen und dabei Polizist*innen getreten habe. Dabei schien es für den Richter unerheblich, dass die Angeklagte zum Tatzeitpunkt am Boden auf dem Bauch lag und die Arme vor dem Körper verschränkte, während zwei Polizist*innen auf ihr knieten. Dem Antrag, diese Konstellation im Gericht nachzustellen, um die Unmöglichkeit einer solchen Handlung nachzuweisen, wurde vom Gericht nicht entsprochen.
So wie es egal zu sein schien, welche Fehler im Voraus von Seiten der Polizei und der Versammlungsbehörde passierten, blieb das Gericht auch unbeeindruckt davon, dass die Polizei im Nachgang nicht weniger problematisch auf die Protestierenden einwirkte. So wurde die Angeklagte zum Beispiel durch männliche Polizisten am Körper durchsucht. Ein unentschuldbarer Rechtsbruch, dessen Rechtswidrigkeit von den betroffenen Polizisten vor Gericht nicht eingesehen wurde, was für sich allein schon einen Skandal in diesem Zusammenhang darstellt.
Es blieb der Eindruck, dass dieses Verfahren auch so vehement geführt wurde, um von den verschiedenen rechtswidrigen Polizeihandlungen abzulenken – oder diese erst zu rechtfertigen.
Zuletzt blieben viele Fragen unbeantwortet und es wird wohl so kommen, wie es der Richter schon anmerkte: Zur endgültigen Klärung bedarf es eines Berufungsverfahrens.
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