Strafverfahren gegen Kreuzfahrt-Gegnerin eingestellt

Am Donnerstag den 11.6. wurde ein Strafverfahren gegen eine Kreuzfahrtgegnerin am Amtsgericht Kiel eingestellt. Er sei zu dumm für die Polizei soll sie zu einem Sicherheitsbeauftragten des Port of Kiel bei einer Demonstration gegen Kreuzfahrtschiffe am Kieler Hafen gesagt haben, so der umstrittene Vorwurf. Dies wurde am heutigen Tag am Amtsgericht Kiel verhandelt und unter Auflage einer Zahlung eines Geldbetrages an „Kiel Hilft“ (eine Organisation, die Geflüchtete unterstützt) eingestellt.
„Ich nehme diese Einstellung aus pragmatischen Gründen an – weil ich weiß, dass das Gericht mir nicht glaubt und ich sonst verurteilt werde. Ich habe schon lange aufgehört, an Gerechtigkeit vor Gerichten zu glauben.“ so die Angeklagte.

Der nun dritte Verhandlungstag hatte konfrontativ begonnen. Mit einer halbe Stunde Verspätung begann die Verhandlung nach gründlichen Eingangskontrollen der MEG (Mobile Einsatzgruppe der Justiz, einer Sondereinheit, die die Justiz Schleswig-Holsteins vor Terror schützen soll). Bereits bei den Kontrollen kam es zu Beanstandungen der Besucher*innen. Auf dem Eingangsformular sollte der Erhalt eines Schriftstückes zu Verhaltensregeln wegen der Covid19-Pandemie unterschrieben werden, der den Besucher*innen nie ausgehändigt wurde. In den Datenschutzhinweisen war darüber hinaus niemand eingetragen, der für die Verarbeitung der erhobenen Daten zuständig ist und bei möglichen Datenschutzverstößen kontaktiert werden könnte. Die Beamt*innen des MEG erklärten sich für nicht zuständig, genausowenig wollte es die Richterin in der Verhandlung sein.
Zu Beginn der Verhandlung wurden zwei Menschen unter Androhung von Gewalt aus dem Saal entfernt, weil sie nicht ordnungsgemäß auf ihren Stühlen saßen. Einer von ihnen saß im Schneidersitz.
Auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft doch das Gespräch mit dem Hafenmitarbeiter zu suchen, erwiderte die Angeklagte: „Ich werde mich nicht für Worte entschuldigen, die ich nicht gesagt habe. Das Gericht ist nicht mal an der Aufklärung des Vorfalls interessiert – wenn es sich sogar weigert auch nur einen Tatzeugen zu laden, der nicht direkt der ist, der mich anzeigt.“ 
Die Angeklagte bestand dann auf einem schriftlichen Beschluss zur Einstellung des Verfahrens, den die Richterin zunächst nicht erteilen wollte. Sie sagte, sie vertraue der Angeklagten nicht und wolle erst den Zahlungseingang von „Kiel Hilft“ bestätigt haben. Daraufhin stellte die Angeklagte einen Antrag auf Ablehnung der Richterin wegen Befangenheit. Darin begründete sie ausführlich, warum Gerichte so handeln:
Ich bin nicht überrascht von dem Verhalten des Gerichts – es versucht seiner Rolle in dieser Gesellschaft gerecht zu werden und den herrschenden status quo aufrecht zu erhalten und die eigenen Privilegien zu erhalten. Was wie eine Phrase klingen mag in vielen Ohren, lässt sich leicht mit Inhalt füllen: Geld, Herkunft, Bildung, Hautfarbe und Geschlecht sind nur ein Teil der Kriterien, die einen maßgeblichen Einfluss darauf haben, an welcher Position in der Gesellschaft Menschen stehen und welche Einflussmöglichkeiten sie haben. Allein schon eine Analyse dessen, wer richtet und über wen gerichtet wird, macht klar: Es geht hier nicht um einen gesellschaftlichen Querschnitt, sondern eine sowieso schon privilegierte Gruppe richtet über Menschen, die meist die schlechteren Voraussetzungen in ihrem Leben hatten. Um es zu verdeutlichen möchte ich zwei Beispiele nennen: 1) Wer wenig hat und von denen nimmt, die viel haben, wird von anderen, die viel haben, dazu verurteilt, von seinem wenigen noch abzugeben oder sie/er wird sogar eingesperrt. Besser wäre, den Reichen endlich ihren Reichtum wegzunehmen und zu teilen, statt das Privileg „Eigentum“ noch weiter zu verstärken und damit als Richter_in aktiv die Schere zwischen Arm und Reich weiter zu öffnen. 2) Wer aufgrund seines Passes gezwungen ist zum Überleben Arbeiten anzunehmen, die als illegal gelten, wird von Menschen mit deutschem Pass verurteilt und dann wegen der Verurteilung abgeschoben, weil er/sie als kriminell gilt. Genau solche Mechanismen stärken Privilegien, statt sie abzubauen und wer daran teilnimmt ist mitverantwortlich für diese Effekte. Wenn ich meine eigenen Privilegien kritisch reflektiere, mag ich  nicht zu den am wenigsten Privilegierten gehören, aber lehne durchaus auch aus den angeführten Gründen Gerichte grundsätzlich ab. 
Eine weitere Funktion der Gerichte ist das Strafen, das angeblich auch zur Resozialisierung und zur Verbesserung der Gesellschaft führen soll. Das beispielsweise Haftstrafen die Probleme der Eingesperrten nicht lösen sondern nur verschärfen ist allgemein bekannt. Aber wie soll auch eine Institution, die selbst gewalttätig in höchstem Maße ist, indem sie Menschen verprügeln (bei der Polizei heißt das einfacher körperlicher Zwang), einsperren und in Gerichtssäalen klein zu machen versucht, weniger Gewalt hervorrufen? Nein, der Zweck ist nur oberflächlich eine Integration der zu Bestrafenden. Tatsächlich geht es um die Definition der Delinquenten oder Kriminellen als „die Anderen“. Also darum, dass Bürger und Bürgerinnen auf die Delinquenten hinab blicken können und sich selbst als höher stehend bewerten können und vor allem sich an die von irgendwem aufgestellten Regeln zu halten um sich selbst nicht als Kriminelle zu sehen. Damit dienen Gerichte vor allem dazu, dass Menschen nicht selber nachdenken über das was falsch und was richtig ist, sondern die Verantwortung dazu Abschieben auf einen Staat mit seinem Gerichtssystem. 
Dabei ist oft genug das geltende Recht erst das Problem. Das Nazi-Regime war ein Rechtsstaat, die Verfolgung Andersdenkender gesetzlich festgeschrieben – was natürlich keinen Vergleich aufmachen soll, nur ein Bewusstsein dafür wecken, dass Gesetze auch das Problem sind, nicht die Lösung. Etwas aktueller sind die aktuellen Terror-Gesetze. Auf Basis dessen wurden in der Türkei und in Frankreich mal eben die Europäische Menschenrechtskonvention außer Kraft gesetzt und in der Türkei Tausende inhaftiert – alles gesetzlich legal. In Deutschland wird diskutiert, Gefährdern, also Menschen die nie wegen irgend etwas verurteilt wurden, Fußfesseln und damit eine Komplettüberwachung zu verpassen, etwas das bisher mit Haftstrafen gleichgesetzt wurde. 
Deshalb entscheide ich lieber selbst, was richtig und was falsch ist, mit allen Konsequenzen und ohne Vertrauen in staatliche Institutionen. Aus diesem Grund entsteht bei mir auch kein Verdacht der Befangenheit. Ich glaube schon lange nicht mehr, dass es Gerechtigkeit in Gerichtssäalen gibt. 
Jedoch geht die Rechtsprechung zu der Frage, ob ein Richter als befangen zu bewerten ist, nicht von einer anarchistischen Angeklagten, sondern von einer verständigen Angeklagten aus. Eine verständige Angeklagte ist dabei vermutlich eine, die die herrschenden Gesetzesnormen nicht grundsätzlich in Frage stellt. Bei dieser müsste das Verhalten des vorsitzenden Richters durchaus als Grund zur Entstehung des Eindrucks der Befangenheit gewertet werden. …
Zuletzt war die Richterin doch bereit, zunächst einen schriftlichen Beschluss (zur Einstellung nach §153a Strafprozessordnung) zu erteilen, aber erst nachdem eine halbe Stunde weiter verhandelt worden war. Auch da glaubte sie nicht wirklich an die Zahlung, ließ sich dann aber doch überreden, den Prozess zu vertagen.
Eine Zuschauerin kommentierte den Prozess: „Menschen werden vor allem dann belangt und beschuldigt, wenn viel Polizei da ist – also auf Demos. Diese Anklage wegen Beleidigung, die übermäßige Polizeipräsenz am Gerichtsgebäude und die Sonderkontrollen sind das Ergebnis einer Spirale, in der Menschen, die Autoritäten hinterfragen, systematisch klein gemacht werden sollen. Protest lebt aber vom Hinterfragen von Autoritäten.“
Protest wird gegen Kreuzfahrt wird es in Kiel auch weiterhin geben, weil es sich um eine besonders umweltschädliche Form des Urlaubs handelt. Kritisiert werden auch die Arbeitsbedingungen auf den Schiffen und die sozialen Folgen des Tourismus in den angefahreren Zielorten. Vorrausichtlich wird die nächste Demo beim Einlaufen der ersten großen Kreuzfahrtschiffe dieser Saison am 27.7. stattfinden. Merkt euch den Termin schon einmal vor!
Nach der endgültigen Einstellung kommentiert eine Zuschauerin den Vorgang wie folgt:

Es widert mich an

Es ist immer wieder die gleiche Scheiße. Irgendwelchen Leuten passt es nicht, dass wir dagegen protestieren, dass sie den Planeten kaputt machen. Und weil sie, besonders wenn sie eine Uniform tragen, gewöhnt sind, dass ihnen mehr geglaubt wird, denken sie sich einfach Sachen aus. Bei Polizist*innen ist es einfach vollkommen normal, sich Beleidigungen gegen Protestierende auszudenken. Und dass Gerichte das dann auch blind so decken und verurteilen ist auch Tagesgeschäft. Und jetzt wieder so ein Fall. Er sei zu dumm für die Polizei, habe es nur zum Hilfssheriff geschafft und sei ein fettes Schwein soll eine Aktivistin zu einem Security gesagt haben. Es ging um Protest gegen Kreuzfahrten, aber das ist eigentlich an dieser Stelle vollkommen belanglos. Weil das Problem ein strukturelles ist. Ob der konkrete Security seine eigene Lügengeschichte mittlerweile selber glaubt (neuere Hirnforschung geht von massenhaft solchen Effekten aus) oder nicht, ist uns egal. Denn wir wissen: Passiert ist es so nicht, aber glauben tut uns eh keine*r.

Und dass es einen weiteren Tatzeugen gibt, der die Angeklagte hätte entlasten könne, war dem Kieler Amtsgericht und der Richterin dann auch einfach egal. Es nervt, diese Prozesse führen zu müssen. Weil es richtig wäre, sie bis zum Ende zu führen. Durch alle verdammten Instanzen. Damit wir klar machen, dass diese verdammte Maschinerie es mit uns wenigstens schwer hat. Und dennoch entscheiden wir uns pragmatisch für eine Einstellung gegen Auflage. Aber es tut weh, weil es so verdammt falsch ist. Weil es so widerlich ist, wenn ein selbstherrlicher Staatsanwalt großzügig von oben herab erläutert, dass wir als Angeklagte ja das gute Recht hätten, die Tat zu bestreiten. Ja, verdammt, das haben wir. Aber dass wir es dürften selbst wenn wir die Tat begangen hätten bedeutet nicht im Umkehrschluss, dass wir sie begangen haben, weil wir sie leugnen oder dazu schweigen. Es ist so widerlich ungerecht, eure „Gerechtigkeit“.

Was ist denn die Wahl? Mehrere Jahre durch viele Instanzen streiten, sich jedes mal am Einlass von der MEG kontrollieren und schikanieren lassen. Richer*innen dauernd die StPO erklären zu müssen, nur damit die sich in ihrer Selbstherrlichkeit einfach unkommentiert nicht dran halten?

Ganz ehrlich: diese Einstellung eines Verfahrens wegen eines ausgedachten Vorwurfs eines Unifomträgers ist kein Grund für Glückwünsche. Ja, es ist eine Verurteilung zu unseren Lasten weniger. Aber es ist wieder mal ein Prozess in dem das Gericht als Sieger herausgeht, uns Geld und Nerven und Zeit geraubt und sich selbst als ach so entgegenkommende neutrale Instanz inszeniert hat. Business as usual. Zum Kotzen.

 

Und wo ihr gegen Repression spenden könnt, steht auf unserer „Über Uns“-Seite