Mehrere hundert Menschen trafen gestern Abend am Platz der Matrosen zusammen, um lautstark ihre Wut auf die Straßen Kiels zu tragen.
Anlass war die kurz zuvor zuende gegangene Bundestagswahl, deren Ergebnisse erschreckend, aber nicht überraschend sind. Der Rechtsruck in Deutschland wird nun auch daran sichtbar, dass die Rechten bis Rechtsextremen Kräfte der CDU und AfD starken Machtzuwachs erhielten, wie schon bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr. Was das für die kommenden Jahre konkret bedeutet, wird sich erst zeigen müssen. Fest steht jedoch eines: Es wird nicht einfacher werden und es ist allerhöchste Zeit, eine antifaschistische, antikapitalistische Gegenmacht zu dieser reaktionären Bewegung aufzubauen, damit wir das Ruder noch irgendwie rumreißen können.
Das war auch der Tenor der eindeutig linksradikal geprägten Demonstration. Diese lief vom Platz der Matrosen aus an der AfD-Parteizentrale am Walkerdamm vorbei, wo die Häuserfassade mit etwas Farbe verschönert wurde. Im Schein von bengalischen
Feuern zog die Demo bis zur CDU am Sophienblatt, wo sie erneut mit bengalischen Feuern und einem Bannerdrop auf dem Dach begrüßt wurde. Unmittelbar über den drei großen Buchstaben CDU wurde ein Banner mit der Aufschrift ‚Gegen Rechtsruck, Krisenkapitalismus und jede Abschiebung‘ platziert.
In den Redebeiträgen wurde unter anderem betont, dass wir all der Hoffnungslosigkeit in Zeiten wie diesen zum Trotz nicht aufhören dürfen, von einer Welt zu träumen und für eine Welt zu kämpfen, in der wir nicht gegeneinander, sondern solidarisch miteinander Leben. Dass wir die kommenden Monate nutzen müssen, um als antifaschistische Linke mehr und geschlossener zu werden, dass wir uns als antifaschistische Gegenbewegung nicht aufgrund von inneren Widersprüchen spalten und schwächen lassen dürfen im Kampf gegen den Rechtsruck und den Faschismus.
Unseren Redebeitrag von gestern findet ihr in den Kommentaren. Danke an alle, die gestern mit dabei waren – nun gilt es auch in den kommenden Tagen nicht den Mut zu verlieren! Wir sehen uns das nächste mal, wenn es wieder heißt: Gemeinsam und entschlossen gegen Krise und Rechtsruck! Alle zusammen gegen den Faschismus!
Unser Redebeitrag:
Vorletzte Woche, nach einer Veranstaltung über die rassistischen Morde in Hanau, ergriff eine Frau mit Migrationshintergrund das Wort und erzählte von rassistischen Angriffen und davon, dass sie seit zwei Wochen kaum noch schlafen könne, weil Freund*innen und Nachbar*innen ihr erzählen würden, dass sie die AfD wählen wegen den ganzen Messerstechern, die abgeschoben gehören. Dass sie davon doch nicht betroffen sei, weil sie gut integriert sei. Einzelne dankten ihr fürs Teilen dieser Erfahrung, obwohl so viel Naivität und Glauben an die rechten Verschwörungserzählungen uns sprachlos machte.
Das Schweigen nach dieser Erzählung war bezeichnend, ein Schweigen voll Tränen, ein Schweigen, in dem spürbar wurde, wie wenig wir trotz aller unser Aktionen und Bemühungen dem Rechtsruck entgegen zu setzen haben und wie wenig Hoffnung wir haben, wie sehr beruhigende Worte nur eine Lüge wären. Die realistische Perspektive ist, dass es schlimmer wird und gefährlich für all diejenigen, die in die Feindbilder der Rechten passen, seien es von Rassismus betroffene Menschen, Queers oder Be-hinderte.
Denn wir leben in einer Zeit, in der sich die Erzählung von „kriminellen Ausländern“ in breiten Bevölkerungsschichten verfangen hat. Medien berichten um ein vielfaches mehr über Taten, die von Migrant*innen oder Geflüchtetenbegangen werden. Als in Schweden kürzlich 10 Menschen ermordet wurden, verschwand die Tat schnell wieder aus den Medien – vielleicht weil der Täter weiß und kein Migrant war? Das über Taten von People of Color fünfmal so oft berichtet wird wie über die von Kartoffeln, obwohl sie halb so oft vorkommen, verzerrt die Wahrnehmung und reproduziert eine fremdenfeindliche und rassistische Erzählung. Es ist kaum möglich, da mit Fakten gegen an zu kommen und nach den Hintergründen zu fragen. Auch, wenn wir uns eher fragen sollten, was denn eigentlich wäre, wenn Geflüchtete eine Perspektive und ausreichende psychologische Versorgung bekommen würden, ob das nicht Verzweifelungstaten eher verhindern würde – eben so wie ein Bekämpfen von Sexismus vielleicht einige der über 300 Femizide pro Jahr verhindern könnte.
Wir leben in einer Zeit, in der Despoten wie Trump, Orban, Erdogan, Putin und wie sie alle heißen, Macht an sich reißen und sie ihnen bereitwillig gegeben wird, weil die Erzählung von starker Führung verfängt. Weil es einfacher ist, sich auf wen zu verlassen, wer einfache Antworten gibt, statt selbst zu denken.
Wir leben in einer Zeit, in der die Klimakrise weiter voran schreitet, jeden Tag mehr, jedoch fast vollständig aus den Nachrichten verschwunden ist. Waldbrände, Überschwemmungen, Hitzewellen, aber es ist einfacher und bequemer so weiter zu machen wie bisher und nicht an das Morgen zu denken, das Morgen was längst schon das Heute ist.
Wir leben in einer Zeit der Verdrängung. Die meisten Menschen nehmen weder die Klimakrise noch das Sterben an den europäischen Außengrenzen wahr oder es ist ihnen egal, weil es sie selbst nicht betrifft. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, leider ist beides Realität und auf alle, welche die Ruhe stören wird drauf gehauen und sie werden vor Gerichte gezerrt und bestraft. Diejenigen, die sich gegen Nazis zur Wehr setzen, diejenigen, welche Kohlekraftwerke blockieren und diejenigen, welche im Mittelmeer Menschenleben retten. Das Töten durch Klimakrise und Grenzen ist jedoch völlig legal und zunehmend auch legitimiert durch die Angst vorm Anderen.
Wir leben in einer Zeit, in der wir wählen, ohne Überzeugung zu haben. „Würden Wahlen etwas ändern wären sie verboten“ oder „Wer an Wahlen teilnimmt, gibt seine Stimme ab“ steht auf unseren Stickern und Plakaten, weil wir nicht daran glauben, dass dies das beste aller Systeme ist. Wir sind der Meinung, dass es mit direkten Aushandlungsprozessen besser gehen könnte, fairer, mit weniger Unterdrückung. Und trotzdem wählen wir das kleinere Übel, weil wir Weidel und Merz nicht die Macht überlassen wollen. Aber wir glauben nicht wirklich daran, dass die anderen Parteien es viel besser machen, denn inzwischen fordern fast alle mehr Abschiebungen, mehr Kontrolle, mehr Überwachung.
Wir leben also in einer Zeit, in der wir wenig Hoffnung haben.
Wir haben kaum Hoffnung, demnächst zu gewinnen und eine bessere Welt zu erschaffen, nein nicht mal darin, die Klimakrise aufzuhalten oder auch nur den Aufstieg der Faschist*innen.
Und trotzdem leben wir auch in einer Zeit, in der es umso notwendiger ist zu kämpfen.
Denn es geht um die Frage: Wer wollen wir sein? Wie wollen wir leben oder im Zweifel auch gelebt haben? Wollen wir schweigend daneben stehen, während Rechtsruck und Faschismus um sich greifen? Oder wollen wir eingreifen und es zumindest versuchen, dem etwas entgegen zu setzen?
Denn ob wir Scheitern werden oder nicht, allein das Kämpfen gibt Hoffnung, darauf dass es irgendwann anders sein kann. Es ist etwas Ermutigendes, mit Tausenden Menschen gegen die AfD auf der Straße zu sein. Es ist gut, wenn die AfD in Kiel keine Veranstaltungsräume findet und auch keinen ungestörten Wahlkampf machen kann – damit zeigen wir, dass rechte Scheiße nicht Normalität ist. Lasst uns immer wieder auch mit Menschen ins Gespräch gehen, von unseren eigenen Überzeugungen, von unseren eigenen Vorstellungen wie die Welt sein könnte, reden. Lasst uns träumen, von einer Welt ohne Grenzen, von einer bunten, offenen Welt ohne Herrschaft, ohne gewalttätige Institutionen wie Polizei oder Justiz, in der wir gemeinsam vereinbaren, wie wir miteinander leben wollen, mit all unseren Unterschiedlichkeiten.
Lasst uns bei all der tristen Realität nicht vergessen, dass es Träume gibt für die es sich zu Kämpfen lohnt!