Bericht vom Tag der politischen Gefangenen in Kiel

Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Ca. 150 Menschen demonstrierten gestern zum Tag der politischen Gefangenen in Kiel für eine sofortige Freilassung der Beschuldigten im Budapest-Komplex und alle anderen politischen Gefangenen. 
Vom Dreiecksplatz zog die Demo lautstark zum Polizeirevier in der Blumenstraße zu einer Zwischenkundgebung. Das Polizeirevier gilt als zentrale Gefangenesammelstelle in Kiel. Dort verbrachten im Januar Nele und Paul, zwei der aufgetauchten Antifas, ihre erste Nacht in Gefangenschaft. Von dort aus ging die Demo über den Knooper Weg und den Rathausplatz weiter zum Europaplatz, wo eine Abschlusskundgebung abgehalten wurde. Rhythms of Resistance unterstützte Rufe wie ‚Free all Antifas, free all Antifas!‘ und ‚Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen!‘ mit lauten Trommelschlägen.
In Redebeiträge wurde auf die Situation der gefangenen Antifas im Budapest-Kompex eingegangen und die Notwendigkeit der strömungsübergreifenden Solidarität betont. Ein weiterer Redebeitrag widmete sich der vergangenes Jahr inhaftierten Daniela Klette, deren Prozess im April beginnen wird. Auch auf die aktuelle Situation der kurdischen Freiheitsbewegung wurde eingegangen. Erst vergangene Woche gab es mehrere Hausdurchungen und eine Festnahme in Kiel und Lübeck. 

Besonders gefreut haben wir uns über einen Redebeitrag von Thomas Meyer-Falk, der selbst 27 Jahre als politischer Gefangener im Knast saß und über seine Erfahrungen und welche Funtkion Gefängnisse im Staat haben gesprochen hat.
Im Anschluss an die Demo berichtete Thomas im Subrosa über seine Erfahrungen. Dabei ging es darum, mit Mythen zum Thema Knast aufzuräumen, aufzuzeigen wie Soliarbeit funktionieren kann und wie auch aus dem Gefängnis Kämpfe weiter geführt werden können. Ca. 50 Menschen nahmen an der Veranstaltung teil, die von TKKG und der Roten Hilfe organisiert wurde, und es ergab sich ein spannendes Gespräch. 
Solidarität ist nicht nur Floskel, sie ist ein elementarer Bestandteil der politischen Arbeit. Lasst uns solidarisch sein, nicht nur mit den politischen Gefangenen, sondern auch mit allen anderen. Ein paar weitere Gedanken dazu findet ihr in unserem Redebeitrag in den Kommentaren.
Für eine Welt ohne Knäste! Freiheit für alle politischen Gefangene! Freiheit für alle!
Hier findet ihr unseren Redebeitrag:
Mittlerweile ist es mehrere Jahre her, doch es fühlt sich so an, als wenn es erst gestern gewesen wäre. Als ich mich das erste mal damit auseinandergesetzt habe, was es bedeutet, für die eigene politische Arbeit in den Knast zu gehen, wirkte das alles erstmal sehr absurd. Doch wenn Klimaaktivisti Aktionen machen, wenn sie Kohlekraftwerke und Waldrodungen blockieren, sogar, wenn sie sich einfach nur auf die Straße kleben, dann müssen sie sich damit auseinandersetzen, dass sie womöglich deswegen für einige Zeit hinter Gitter gehen müssen.

Wenn wir Industrie effektiv blockieren, die jeden Tag dazu beiträgt, dass die Klimakrise weiter vorangetrieben wird, weswegen schon heute jeden Tag viele Menschen sterben und viele weitere ihre Heimat verlassen müssen, dann bereiten wir uns darauf vor. Denn wir wissen, dass der Staat ein großes Interesse daran hat, bspw. die Kohleindustrie zu schützen. Wir sind die Verzweifelnden, die sich durch das Anketten, in den Weg stellen, festkleben, abseilen nicht selten in Lebensgefahr begeben. Wir tun das, damit die zerstörerische kapitalistische Produktion wenigstens für wenige Stunden mal still steht, der Normalzustand gestört wird und der Schaden sichtbar gemacht und aufgezeigt wird, der ansonsten immer wieder still und unbeachtet nebenherläuft, als wäre nichts dabei.

Es ist Gewalt, die der Staat in Form von gerichtlichen Strafen auf uns ausübt, damit wir damit aufhören. Um uns davor zu schützen oder diese Gewalt zumindest ein Stück weit zu mildern oder zu verzögern, verweigern einige von uns Klimaaktivisti die Identität. Das bedeutet in vielen Fällen eine längere, gewaltvollere Zeit in den Zellen der Polizeistation, der Gefangenensammelstelle – aber eben zumindest vorerst weniger gerichtlichen Stress im Nachgang. Bei Aktionen, wo klar ist, dass größere Strafen im Raum stehen, kann das aber auch Untersuchungshaft bedeuten. Das ist uns bewusst, und darauf bereiten wir uns vor. Emotional wie logistisch.

Ich erinnere mich an die Gespräche, kurze Zeit vorher. Um was sich alles gekümmert werden muss, wenn der Haftrichter wirklich Untersuchungshaft anordnen sollte.
Daran, dass wir noch ein letztes mal zusammen schwimmen waren, im See der eigentlich schon viel zu kalt dafür war. Um noch einmal in vollen Zügen auszukosten, was da an Natur und Eindrücken auf einen einprasselt, bevor die andere Person es – so die Vermutung – für eine längere Zeit nicht mehr würde spüren können. Die Enten, die da mit uns im See schwammen. Die letzten Sonnenstrahlen, die über unsere Haut strichen, bevor es dann hieß Abschied nehmen. Auf einige Stunden Ungewissheit – und dann eben doch Gewissheit. Dass alle Personen nach und nach aus dem Gericht kamen – nur eben die nicht, die auch bei Androhung von Gefängnis konsequent weiterhin verweigerten, ihre Namen zu sagen. Ich stand am Straßenrand, als der Transporter an mir vorbeifuhr, mit den Menschen drin. Kein Fenster, um noch ein letztes mal zu winken.

Doch auch, wenn Personen nach Aktionen die Namen angeben können sie zu Haftstrafen verurteilt werden. Beispielsweise wurden 2023 und 2024 mehrere Kohlekraftwerksblockierer*innen im Rheinland zu mehrmonatigen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt. Dieses Urteil wurde zwar in höherer Instanz in eine hohe Geldstrafe abgemildert, doch was damit erzielt werden sollte, ist klar: Eine Angst zu produzieren, die dazu führt, dass Klimaaktivisti keine solcher Aktionen mehr machen.
In Großbritannien wurden zwei Klimaaktivisti zu 2,5 und 3 Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, weil sie mit einer Kletteraktion die Themse blockiert haben. Und auch bei der Letzten Generation gab es in den letzten Monaten und Jahren zahlreiche Urteile zu Haftstrafen – oftmals auch ohne Bewährung.

Manchmal entscheiden sich Aktivist*innen aber auch dafür, eine Freiheitsstrafe der Option vorzuziehen, dem Staat Geld in den Rachen zu schmeißen. Aktuell sitzt beispielsweise der 69-jährige Karl von der Letzten Generation im Kemptener Gefängnis – weil er mit einer Straßenblockade den Verkehr aufgehalten haben soll.

In anderen Regionen der Welt sieht es dabei noch viel düsterer aus. In den USA ermordeten Cops 2023 ein*e nicht binäre afro-venezolanische Aktivist*in mit 57 Schüssen.
Schauplatz war die Waldbesetzung Stop Cop City, die den Bau eines weiteren hochmilitarisierten Übungsplatzes für die Polizei verhindern wollte. Als wenige Monate später ein*e andere Klimaktivist*in in der Nachbarschaft eines der mordenden Polizisten Flyer zu Tortugitas Tod verteilte, wurde dey wegen Bedrohung für 2,5 Monate eingesperrt, es drohen bis zu 20 Jahre Haft bei der Verurteilung.

In Russland ist es in der Regel gar nicht erst möglich, größere Klimaproteste mit vielen Menschen legal zu organisieren. Der russisch-armenische Aktivist Arshak Makitschjan rief deshalb, inspiriert von Greta Thunberg, kreative Protestformen ins Leben um trotzdem ein Gefühl von Gemeinsamkeit im Kampf gegen die staatliche Zerstörung der Umwelt zu erzeugen. Zum Beispiel, indem eine Person mit einem Schild für wenige Minuten an einem öffentlichen Ort in Moskau stand und es dann an die nächste Person an einem nahegelegenen Ort weitergab. Als er 2019 von einer Klimakonferenz in Madrid zurückkam, wurde er sechs Tage lang inhaftiert wegen seinen zuvor in Moskau organisierten Protesten. Als er 2022 für den Frieden demonstrierte, wurde er ausgebürgert. Mittlerweile lebt er als Staatenloser im Exil in Deutschland.

Was da vor allem ist, wenn ich an Freund*innen denke, die mal wieder im Gefängnis oder auch ’nur für ein paar Tage‘ in der Gesa sind, ist Hilflosigkeit, Ohnmacht. Sich nicht wehren zu können. Liebe Menschen, oder auch fremde Menschen, die für die gleichen oder ähnliche Ziele kämpfen wie ich, sind alleine den Fängen des Staates ausgeliefert. Und ich stehe daneben und kann nichts tun, nicht einmal unmittelbar erfahren, wenn etwas besonders schlimmes passiert ist. Die meist einzige Möglichkeit durch die Mauern zu kommunizieren, die Blicke und größtenteils auch Stimmen nicht durchlassen, sind Briefe. Von denen ich mir sicher sein kann, dass sie nicht nur von denen gelesen werden, an die sie gerichtet sind.

Gefängnis macht Menschen kaputt. Wie sollte es auch anders sein, wenn du mehrere Wochen, Monate, Jahre lang jede Sekunde deines Lebens überwacht und kontrolliert wirst, jemand anderes für dich die Entscheidungen trifft und du die meiste Zeit mit dir allein, in Einsamkeit und Isolation verbringst. Du weitestgehend abgeschnitten bist, von deinen Freund*innen, deiner Familie, denjenigen, mit denen du dich vorher zusammengeschlossen hast, um etwas zu verändern in der Welt. Diese Isolation zumindest ein Stück weit zu durchbrechen ist schwierig. Gerade, wenn Aktivist*innen anonym in Haft gehen, ist es eben nicht möglich ihnen offen Briefe zu schreiben, die Informationen über ihre Herkunft und Identität liefern könnten. Dann ist es eben nicht möglich, dass die engsten Menschen Besuche im Knast machen, weil sie eine Gefahr für die Identitätsverweigerung seien könnten. Und auch bei nicht anonymen Gefangenen ist klar, dass die wenigen Stunden im Monat überwachte Besuchszeit die restliche isolierte Zeit nur ein wenig versüßen konnen.

Doch politische Aktivist*innen sind nicht die Einzigen, denen das passiert. Seit August 2021 wurden in Schleswig-Holstein viele Hundert Migrant*innen in das Abschiebegefängnis in Glückstadt gesperrt. Dafür muss der Staat ihnen nicht einmal vorwerfen, eine Straftat begangen zu haben – es genügt der Verdacht, die Person könne sich einer etwaigen Abschiebung entziehen. Gleich zweimal hat es im vergangenen Jahr im Glückstädter Abschiebegefängnis gebrannt, weil Inhaftierte aus Verzweiflung ihre Zellen angezündet haben, hinzu kommen zahlreiche weitere Selbstverletzungen und Suizidversuche, die wiederum mit Repression beantwortet werden. Das sieht dann so aus, dass die Inhaftierten in den sogenannten Keller, den besonders gesicherten Haftraum ohne Fenster und Möbel gebracht, und oft dort an den Boden gefesselt werden.

Und auch für diejenigen, die nicht aus politischen Gründen – bzw. aus den aus unserer Perspektive ‚richtigen‘ politischen Gründen inhaftiert sind, ist Haft zumeist traumatisch und extrem gewaltvoll.
Gefängnisse sollen in Deutschland nicht primär strafen, sondern die Gesellschaft vor weiteren Straftaten schützen und die Gefangenen in ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten führen.

Wie aber soll das funktionieren, wenn die Probleme, die zu Straftaten führen, zumeist gesellschaftliche sind, und eben nicht individuelle der Weggesperrten?
Gesellschaftliche Probleme lassen sich nicht wegsperren, sie beruhen auf historisch gewachsenen Machtverhältnissen wie Patriarchat und kapitalistischer Klassengesellschaft. Solange wir nicht gesamtgesellschaftlich patriachale Denkmuster entlernen und patriarchale Strukturen grundsätzlich beseitigen, solange wird es patriarchale Gewalttaten geben. Solange wir nicht den Kapitalismus abschaffen und für soziale Gerechtigkeit sorgen, solange wird es Armut geben und solange wird es auch Menschen geben, die stehlen oder ohne gültiges Ticket Bahn fahren.

Aber diese Verhältnisse sind nicht in Stein gemeißelt – sie sind von Menschen geschaffen worden, also können sie auch von Menschen verändert werden. Niemand ist frei, solange es nicht alle sind – kämpfen wir also weiter, gegen die Inhaftierung unserer Freund*innen und Genoss*innen, aber auch gegen eben diese gewaltvollen Verhältnisse! Für eine Welt ohne Herrschaft und Unterdrückung – Freiheit für alle politischen Gefangenen – Freiheit für alle Gefangenen!

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