Auch 2023 blicken wir in Kiel auf einen kämpferischen CSD zurück. Wie schon im letzten Jahr koorperierten die Ausrichtenden der Parade eng mit der Polizei. So gab es am Mittwoch eine als „offene Diskussion“ getarnte Werbeveranstaltung für die „Zentrale Ansprechstelle LSBTIQ*“ – sie war Teil der CSD-Kukturwochen und wurde von der HAKI veranstaltet. Die Ansprechstelle gibt sich gerne unabhängig, besteht aber ausschließlich aus Angehörigen der Polizei. Mehrere Aktivistis waren vor Ort und stellten kritische Fragen. Auf eine dieser erklärte einer der Cops, er fänd es ja auch doof, wenn queere Menschen abgeschoben würden – also zumindest als Privatperson. Wie er dies als Cop sehe, führte er nicht weiter aus. Gelobt wurden Verbesserungen der Rechte von trans Personen. Als Rückschritt wurde hingegen Kritik an der Polizeiarbeit gewertet. So weit – so vorhersehbar.
Für eine kleine Überraschung sorgte die Anlaufstelle dann aber, als sie im Laufe des Abends ihren für das Straßenfest des CSD geplanten Stand absagte. Am Vortag hatte sich der CSD Kiel noch einmal in einem Statement explizit mit der Polizei solidarisiert und auf dem Straßenfest angekündigt, sie als ‚Kompromissvorschlag‘ am Rande/leicht außerhalb des Straßenfestes positioniert.
Doch offentsichtlich war das Backslash aus der Szene selbst größer als erwartet gewesen. Dies zeigte sich auch im Stadtbild. So waren die Plakate der Pride um polizeikritische Messages ergänzt worden. Außerdem hatten Menschen die Route mit Graffiti verschönert.
Anstatt auf dem Straßenfest präsent zu sein, versuchte die Anlaufstelle mit einem Stand am Rande des CSDs für sich zu werben. Doch nach wenigen Minuten war auch dieser mit Transparenten abgeschirmt. Die Teilnehmenden der Demo lasen interessiert die Schriftzüge der Banner wie: „No Cops no Corporations at Pride!“ Von dem Stand selbst nahmen sie wenig Notiz. Ihre gern beschworene Unabhängigkeit von der Polizei unterstrich die Anlaufstelle dabei durch einen mitgeführten Streifenwagen sowie das Tragen von Uniformen.
Für die Demo hatten wir zusammen mit der Feministischen Antifa Kiel, der Seebrücke Neumünster und dem feministischen Café Kiel zu einem antiCOPitalistischen Block mobilisiert, dem sich viele Menschen anschlossen. Als Block wie auch als CSD erfuhren wir von Passant*innen vielerorts positives Feedback. Allein die „Freien Demokrat*innen“ schien ein wenig gefrustet als Menschen „FDP Bozenpack, wir haben euch zum kotzen satt!“ skandierten. Lautstark protestierten wir außerdem für Gendergerechtigkeit, gegen eine Kommerzialisierung des CSDs und natürlich gegen die Polizei. Mit Sprüchen wie: „Stonewall was a Riot – we will not be quiet!“ Erinnerten wir auch an die Anfänge des CSDs.
1969 war es in New York zu queerfeindlichen Razzien gekommen. Ausgehend vom Lokal ‚Stonewall Inn‘ in der Christopher Street kam es zu tagelangen Riots. Die Aufständischen waren nicht nur queer. Viele von ihnen erlebten auch rassischtische und klassistische Diskriminierungen. Die Polizei war kein „Freund und Helfer“ dieser Menschen. Sie knüppelte ihren Protest gewaltsam nieder. Für uns unterstreicht diese Geschichte wie kaum eine andere, dass es intersektionale Kämpfe braucht. Deshalb sind wir vor allem solidarisch mit mehrfach-marginalisierten Menschen – und nicht mit der Polizei!
Auch im Weiteren kam es zu Aktionen gegen die begleitenden Cops. Als in der Andreas-Gayk-Straße ein Regenbogen-Polizeiauto auftauchte intervinierte eine Kleingruppe. Mit den beiden Transpis „All Colours Are Beautiful“ und „Fesseln und Schlagen? Nur mit Safeword! #PolizeiAbschaffen“ drängte sie den Wagen ab. Unter dem Jubel vieler Demo-Teilnehmenden fuhr dieser rückwärts von den Aktivistis weg bis er Höhe Ziegelteich zum stehen kam. Unter anhaltendem Applaus positionierten sich die Aktivistis vor dem Auto.
Auf dem Straßenfest schließlich wurde noch ein verlassener Streifenwagen mit Kreide und Stickern verschönert. Als Cops versuchten Menschen abzudrängen kam es zu einer spontanen Sitzblockade. Schließlich zog sich die Polizei zurück – und nahm ihr Auto auch gleich mit.
Mit diesen vielfältigen Eindrücken im Kopf freuen wir uns jetzt schon auf den CSD 2024 – dann ja vielleicht ganz ohne Polizei.