Bericht ursprüglich erschienen auf autofrei.noblogs.org
Der Prozess in Schleswig wegen der Autobahnabseilaktion auf der A7 ist noch nicht zu Ende und geht am 5.1.2023 um 9 Uhr in die dritte und vermutlich vorerst letzte Runde. Kommt gerne wieder zahlreich und mit euren kreativen Ideen, um den Tag zu verschönern. Es wird wahrscheinlich wieder Einlasskontrollen mit Kopien von Personalausweisen geben. Hier der Bericht vom 2. Prozesstag, dem 21.12.22.
Fast schon routiniert trafen sich die Angeklagten, Verteidiger*innen, Unterstützer*innen und Interessierte eine gute Stunde vor Prozessbeginn vor dem Amtsgericht und frühstückten gemeinsam.
Beim Reingehen wurden alle Angeklagten, Verteidiger*innen sowie Zuschauer*innen komplett abgetastet, ihre Sachen wurden abgenommen und alle Personalausweise kopiert, inklusive nicht notwendiger Personendaten. Einzige Änderung gegenüber dem letzten Mal war, dass diesmal nicht mehr die Privatadressen aller Angeklagten vorm Gerichtsgebäude aushingen.
Mit etwas Verspätung des Gerichts begann die Richterin den 2. Verhandlungstag erneut mit dem Aufstehen-Hinsetzen-Prozedere. Zwei der Angeklagten spielten da nicht mit und wurden direkt mit erneutem Ordnugsgeld bedroht, obwohl über den Antrag, dieses Ritual sein zu lassen oder es doch wenigstens Menschen freizustellen, wenn sie dort nicht mitmachen möchten, noch nicht entschieden wurde. Da auch Menschen aus dem Publikum signalisierten, dass sie dieses Ritual eher für lächerlich als sinnvoll erachten, musste die Staatsanwaltschaft eingreifen und wies die Richterin darauf hin, dass nach Rechtsprechung des OLG Köln nur am ersten Verhandlungstag aufgestanden werden müsse. Leider war es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät für zwei Zuschauer*innen, die bereits aus dem Saal geschmissen wurden und zum Teil Ordnungsstrafen aufgedrückt bekamen. Ein Mensch der beiden absurderweise nur aus dem Grund, dass diese*r auf Nachfrage der Richterin äußerte, dass er heute Geburtstag hätte.
Nachdem wegen Krankheitsausfall eine neue Verteidigung genehmigt wurde, durften dann auch schon keine Anträge mehr verlesen werden, und selbst wenn, dann nur die erste Seite. Selbst ein Antrag wegen Befangenheit der Richterin wurde nicht mal aufgenommen. Die Richterin bestellte eilig die letzte Zeugin ein, um so weiteren Anträgen aus dem Weg zu gehen. Die Zeugin, ebenfalls Polizistin, diesmal vom Staatsschutz aus Flensburg, berichtete, wie sie den Tatort, eine Autobahnbrücke bei Hüsby problemlos über die Rettungsgasse erreichte, nachdem die Sperrung der Autobahn bereits veranlasst wurde. Sie selbst habe am Tatort selbst nicht mit den Aktivisti geredet, sich lediglich auf der Polizeiwache mit einer der Aktivistinnen über Hygieneprodukte (falls mensch beim Klettern mal muss) ausgetauscht. Sie beschloss, dass sie ganz persönlich mit der Kletterausrütung der Aktivisti aus Sicherheitsbedenken nicht klettern gehen würde, was vielleicht auch besser ist, da sich ihre Klettererfahrungen eigenen Angaben zu Folge auf den Besuch eines Hochseilklettergartens beschränken. Dafür hatte sie die Berichterstattung auf socialmedia eifrig verfolgt, was bei der Ansicht von Bilder aus der Akte deutlich wurde. Allerdings konnte sie nicht erklären, wer oder was die Antifa ist, welche angeblich einen Post über die Abseilaktion erstellt hatte.
Leider durfte die Zeugin nicht über den Dannenröder Forst erzählen, da die Richterin die Frage für nicht zulässig hielt. Und das, obwohl die Aktion in direkten Zusammenhang zur Besetzung des Dannenröder Forstes stand. Dieser wurde zu der Zeit für den Bau der neuen Autobahn A49 gerodet. Am 26.11.2020, nur einen Tag vor der Abseilaktion, wurde dort im Zuge der gewaltsamen Räumung des Danneröder Forstes die Aktivistin Ella festgenommen, welche daraufhin über ein Jahr in Haft war, nur damit Justiz und Polizei ein Exempel zur Abschreckung statuieren konnten. Dabei wollten die Aktivisti im „Danni“ die Zerstörung des naturnahen Waldes und den Bau klimaschädlicher Infratruktur in Zeiten akuter Klimakrise konkret abwenden. Dass Klimaschutz ein nach §34 StGB notstandsfähiges Rechtsgut ist, zeigt zB. das Urteil des AG Flensburg vom 7.11.2022. In diesem Fall sah es das Gericht als gerechtfertigt an, einen Baum in einem Stadtbiotop, welches für den Bau eines Hotels weichen sollte, zu besetzen um ihn vor der Abholzung zu bewahren. Ein Baum speichert eine Menge CO2, was positive Auswirkungen auf die Klimaerhitzung hat. Wichtig war dabei auch, dass zuvor über Bürgerinitiativen, Demos, direkten Gesprächen und dem Rechtsweg erfolglos alles versucht wurde, um diesen Umweltskandal abzuwenden. Die Voraussetzungen der Besetzung im Dannenröder Forst sind sehr ähnlich, nur in deutlich größerem Ausmaß.
Nach der Zeug*innenbefragung konnten sich die Angeklagten wieder das Wort erkämpfen und konnten auch die Wissenslücken zum Dannenröder Forst füllen. Eigentlich muss die Richterin sogar nach jeder Beweisaufnahme und so auch nach der Zeug*innenbefragung den Angeklagten aktiv das Wort erteilen – sie tat das nicht ein einziges Mal während der gesamten Verhandlung. Besonders schräg war, dass jede*r der Angeklagten aufgefordert wurde, in einem Zug mit der Stellungnahme zur Zeug*innenbefragung alle Anträge – auch Beweisanträge – zu stellen, die jede*r noch vor Schließung der Beweisaufnahme stellen wollte.
Als Reaktion darauf wurde erneut ein Befangenheitsantrag gegen die Richterin gestellt, da diese teils willkürlichen Anordnungen die Angeklagten nicht zu Wort kommen lassen und ihre Verteidigung erschweren und sie bis zu diesem Zeitpunkt zu genüge gezeigt hatte, wie voreingenommen sie tatsächlich ist..
Bei der Gelegenheit für Stellungnahmen wurde auch gerügt, dass kein Mensch außer der beim Gericht angestellten Schreibkraft und die daneben sitzende Richterin Einblick in die Protokollführung haben. So gibt es keine Kontrolle darüber, was überhaupt protokolliert wird und was nicht. Auch Anträge auf Wortlautprotokollierungen zu bestimmten Zeug*innenaussagen wurden häufig zurückgewiesen.
Die Angeklagten hatten über 40 Beweisanträge vorbereitet, von denen aber nur ein kleiner Teil vorgelesen werden durfte. Darin ging es um die Gefahren des Klimawandels, die schädlichen Auswirkungen des Individualverkehrs auf das Klima und die Atemluft sowie die unzureichenden politischen Bemühungen für eine notwendige Verkehrswende. Auch wurde erwähnt, dass die Gefahr tödlich zu verunglücken in einem Auto 56 mal höher ist als mit der Bahn. Das alles soll zeigen, dass die Dringlichkeit der bisher verschleppten Verkehrswende gegenüber den Beeinträchtigungen durch die Aktion überwiegt, und die Aktivisti aus rechtfertigenden Notstand heraus gehandelt haben.
Eine andere Reihe von Beweisanträgen zeigte, dass die Voraussetzungen für die vorgeworfene Nötigung nicht gegeben waren. So hingen die Aktivisti nicht über der Fahrbahn, sondern über Mittelleitplanke und Standspur, und es war den Autofahrer*innen möglich, weiterzufahren. Es konnte weder eine physische noch psychische Barriere nachgewiesen werden.
Gegen 17 Uhr wurde die Verhandlung dann ins neue Jahr vertagt – ohne dass über die zahlreichen Anträge entschieden worden wäre. Wir sind gespannt auf die Fortsetzung am Do, 5.1. um 9 Uhr am Amtsgericht Schleswig.