Erdgas-Debatte voller Augenwischerei

Ein sehr lesenswerter Artikel von „Vollgas in den Untergang“ gefunden auf Indymedia:

Am 13.02.20 gab es endlich ausführliche Berichterstattung zur Klimaschädlichkeit von Erdgas und damit ein kritisches Hinterfragen des neuen Küstengaskraftwerks. Dabei wurden leider viele Punkte unklar gemacht oder gar nicht erwähnt, während sich auf Unwichtiges fokussiert wurde. Das wollen wir richtig stellen.

Kiel, den 13.02.2020 – Nachdem wir bereits seit Wochen gegen das neue Küstengaskraftwerk der Stadtwerke Kiel protestiert haben, begann heute eine ernsthafte Debatte um die Klimaschädlichkeit von Erdgas in den Kieler Nachrichten. Wir freuen uns über den Start dieser Debatte und möchten einige Punkte klarstellen und in einen größeren Kontext einordnen:

(1) Methan hat eine wesentlich höhere Treibhauswirkung als angegeben.

(2) Der „Methan-Schlupf“ ist nur ein Bruchteil des Problems.

(3) Das Problem ist global, der Erdgasboom wird forciert und verhindert aktiv die Energiewende.

Zum Schluss möchten wir daraus ein Fazit ziehen und konkrete Forderungen formulieren, die in der Hauptforderung nach einem konkreten Ausstiegsplan für die vermeintliche „Brückentechnologie“ gipfeln: Wie soll diese Brücke aussehen und warum wurden dazu nicht schon Pläne vorgestellt, wenn man ein 290 Millionen Euro teures Projekt als Übergangslösung verkauft?

Wir beziehen uns auf folgende Artikel aus den heutigen KN (13.02.2020):

  • „Experten: Kieler Kraftwerk hat ein Methan-Problem“
  • „Wie schädlich ist der Methan-Schlupf?“
  • „Sachlich bleiben. Gaskraftwerk ist gut, hat aber einen Makel“ – Alle drei von Ulrich Metschies.

(1) Methan hat eine wesentlich höhere Treibhauswirkung als angegeben.

Bei der Verbrennung, der Förderung und dem Transport von Erdgas entweicht Methan – Das ist der Kern der aktuellen Debatte. Die Treibhauswirkung von Methan wird von Rolf Beckers in den KN mit ca. der 25-fachen von CO2 angegeben. Hierbei ist es allerdings wichtig, den betrachteten Zeitraum mit anzugeben: Methan (CH4) verbindet sich  in der Atmosphäre mit Sauerstoff (d.h. oxidiert) zu CO und CO2. Deshalb ist die kurzfristige Treibhauswirkung des Erdgases (hoher Methan-Anteil, niedriger CO2-Anteil) wesentlich höher als die langfristige, die aufgrund der stattgefundenen Oxidation einen niedriger Methan-Anteil aber dafür einen deutlich hohen CO2-Anteil aufweist. „Kurzfristig“ bezeichnet hier einen Zeitraum von 20 Jahren, „langfristig“ meint 100 Jahre.

Beckers bezieht sich im Artikel aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Zahlen des IPCC von 2007 für den Zeitraum von 100 Jahren; also lediglich auf die langfristigen Auswirkungen von Methan. In derselben Studie wird die kurzfristige Treibhauswirkung mit dem 72-fachen des CO2 angegeben (IPCC 2007). 2013 wurden diese Zahlen nochmal um knapp 20% nach oben korrigiert: Kurzfristig 86-fache Wirkung, langfristig 34-fache (IPCC 2013). Es ist klar, dass die Werte für die kurzfristige Wirkung die entscheidenden sind: Wir sind bereits mitten in der Klimakatastrophe und müssen unbedingt verhindern, kritische „Kipp-Punkte“ zu erreichen! Zudem wird uns Erdgas als Brückentechnologie verkauft, das Kraftwerk 100 Jahre lang zu betreiben sollte da also ohnehin nicht geplant sein.

Eine beispielhafte, optimistische (!) Rechnung mit den Zahlen der Fachleute: Angenommen, die Treibhauswirkung des Methan ist 70-mal höher als die von CO2 (in den nächsten 20 Jahren), es treten insgesamt nur 2% des Methans entlang der Lieferkette, bei der Förderung und der Verbrennung aus und Erdgas verbrennt 70% sauberer als Steinkohle (wie von den Stadtwerken beworben). Unter diesen Voraussetzungen beträgt die mittel- und unmittelbar produzierte Menge Treibhausgas des Küstengaskraftwerks bereits 170% eines vergleichbaren Steinkohlekraftwerks (Disclaimer für Ulf Kämpfer: Das bedeutet natürlich in keinster Weise, dass wir für den Erhalt oder gar Neubau eines Kohlekraftwerks sind!).

(2) Der „Methan-Schlupf“ ist nur ein Bruchteil des Problems.

Die Berichterstattung konzentriert sich auf den „Methan-Schlupf“, also entstehende Methanemissionen bei der Verbrennung des Erdgases in den Motoren. Das ist aber nur ein kleiner Teil des Problems: Der Löwenanteil der Emissionen entsteht bei der Förderung und dem Transport von Erdgas. Zwischen 1,7% und 6% bei konventioneller Förderung und 3,6% bis 7,9% bei Schiefergas aus Frackinganlagen (Howarth 2014). Hier gilt es sachlich zu bleiben, werter Herr Metschies: Es muss natürlich auch die Frage gestellt werden, wie viel CO2 bei Förderung und Transport von Kohle entstehen (Einsatz großer Maschinen und dergleichen), aber die Dimensionen für das Erdgas sind ganz andere. Auch hier entsteht CO2 durch den Einsatz von Maschinen und Transportmitteln (insbesondere LNG, was auf dem Seeweg transportiert wird). Davon abgesehen ist das Problem für Erdgas aber auch qualitativ ein anderes: Das zu fördernde Material ist ein Gas, kein Feststoff. Es ist schlechterdings nicht zu vermeiden, dass es bei industrieller Förderung und Transport in signifikanten Mengen austritt. Und das ist dann nicht „bereits“ ein Problem, sondern das Kernproblem, wenn Methan eine so viel stärkere Treibhauswirkung hat.

Für den Methan-Schlupf selbst haben wir keine genauen Zahlen gefunden; Jörg Teupen von den Stadtwerken berechnet in den KN für das Küstengaskraftwerk unter Berücksichtigung des Methan-Schlupfes eine Treibhausgas-Einsparung von 69%, ohne Berücksichtigung des Methan-Schlupfes von seien es 73%. Im Vergleich mit obiger Rechnung wird klar, dass selbst mit den langfristigen Werten für die Treibhauswirkung von Methan die Methanemissionen des „Methan-Schlupfes“ verschwindend gering sein müssen. Es handelt sich trotzdem um ein reales Problem, was angegangen werden muss, aber die Debatte darauf zu fokussieren ist extreme Augenwischerei.

(3) Das Problem ist global, der Erdgasboom wird forciert und verhindert aktiv die Energiewende.

Der Bau des Küstengaskraftwerks muss im Kontext einer Offensive des fossilen Kapitals gesehen werden, die 2015 öffentlich wurde und bis heute die europaweite Energiepolitik bestimmt. BP, Shell und Co. betrieben intensive Lobbyarbeit auf europäischer Ebene, was einen maßgeblichen Teil dazu beigetragen hat, dass die momentane EU-Energiepolitik so sehr auf Erdgas setzt (The Guardian, 2015).

Dabei geht es gewiss nicht darum, dass Erdgas die beste verfügbare Technologie ist, um schnelle Effekte im Kampf gegen die Klimakatastrophe zu erzielen, wie es uns im Narrativ der „Brückentechnologie“ suggeriert wird – Es geht schlicht um die einfachste Möglichkeit, kurzfristig weiter Profit- und Wachstumsmargen zu erhalten, was von der EU leider bereitwillig subventioniert wird. So kam der Löwenanteil von 105 Millionen Euro für das Küstengaskraftwerk von der Europäischen Investitionsbank. Zeitgleich werden Subventionen für die tatsächliche Energiewende auf EU- und Bundesebene gekappt.

Im Zuge dieser Marktentwicklungen ist klar, dass Erdgas ganz sicher nicht den Einstieg der Erneuerbaren in den Energiemarkt erleichtert, wie unter dem Schlagwort der „Flexibilität“ von den Stadtwerken so gerne behauptet wird. Zwar kann das Küstengaskraftwerk „flexibel“ abgeschaltet werden, wenn das Stromnetz durch Erneuerbare ausgelastet ist, dazu kommt es dank des Erdgasbooms aber gar nicht erst. Stattdessen führen erhöhte Förderung und geringerer Preis zu immer mehr Gasinfrastruktur an allen Ecken und immer weniger Perspektiven für den Ausbau der Erneuerbaren- der durch erhöhte Erdgasförderung bedingte niedrige Preis bedeutet im Resultat die Verdrängung der Erneuerbaren (Zu dem Schluss kommt auch das Umweltbundesamt 2015). Ganz zu schweigen davon, dass die Stadtwerke keine Perspektive aufzeigen – Sie reden zwar von Brückentechnologie, aber tatsächlich zu planen, wie diese Brücke aussehen soll, daran scheinen sie kein Interesse zu haben. Zumal das Küstengaskraftwerk nicht ernsthaft darauf ausgelegt ist, irgendwann einmal mit Wasserstoff betrieben zu werden, obwohl man das von „Europas modernstem Kraftwerk“ (Zitat Kieler Stadtwerke) erwarten muss (Wasserstoff kann als Energiespeicher für Energie aus erneuerbaren Energieträgern genutzt werden und ist eine gute Möglichkeit, Gasmotoren mit erneuerbaren Energieträger statt mit Erdgas zu betreiben). Klar, wenn bereits 290 Millionen Euro in ein neues Kraftwerk investiert wurden, will man sich von diesem so schnell nicht wieder trennen, aber das wäre mit einem konkreten Plan zur Umstellung von Gas auf Wasserstoff auch gar nicht nötig gewesen – Die Worthülse „Brückentechnologie“ wird da geradezu zynisch, aber „Unser Beitrag zur Energiewende“ ist schlicht ein Schlag ins Gesicht.

In diesem Kontext muss auch das geplante LNG-Terminal in Brunsbüttel unbedingt verhindert werden – die KN haben heute zumindest schon auf die katastrophalen Folgen des LNG hingewiesen.

Was folgt daraus für die aktuelle Debatte um das Küstengaskraftwerk? Zunächst muss unnachgiebig daran festgehalten werden, dass die Stadtwerke im Bezug auf die Klimafreundlichkeit des Kraftwerks dreist gelogen haben – Ob sie sich des vollen Ausmaßes der Problematik nun bewusst waren oder nicht, denn so viel ist klar: „Voll auf dem Plan“ (Zitat Teupen) hatten die Stadtwerke das Methan-Problem sicher nicht, wenn es ihnen nur darum ging, Grenzwerte für die Methanemissionen bei der Verbrennung vor Ort einzuhalten. Wer den momentanen Erdgasboom weiter vorantreibt – und sei das eigene Kraftwerk noch so technisch eindrucksvoll -, der gießt Öl ins Feuer und macht sich an allem mitschuldig, was entlang der Lieferkette und bei der Förderung passiert. Dafür wäre langsam zumindest mal eine ehrliche Entschuldigung fällig.

Das ist jedoch zweitrangig, denn „nun ist das Kind in den Brunnen gefallen“ – dem können wir uns nur anschließen, Herr Beckers. Jetzt ist es wichtig, Schadensbegrenzung zu betreiben und ernsthafte Perspektiven für die Energieversorgung in Kiel und Europa aufzuzeigen.

Wir fordern einen konkreten Ausstiegsplan für die angebliche „Brückentechnologie“: Wie soll diese Brücke aussehen? Wie wollen wir die Auslastung des Stromnetzes mit den Erneuerbaren ausbauen, sodass die angepriesene „Flexibilität“ des Kraftwerks tatsächlich zum Einsatz kommen kann (Ausbau der dezentralen Solarenergieproduktion mit vollständiger Legalisierung und Förderung der autonomen Stromerzeugung, Windparks, Abwärme aus Solarzellen zur Erzeugung von Fernwärme, …)? Wie wird entschieden, wann wir die Brücke nicht mehr brauchen? Wird es ein wissenschaftliches Komitee geben, was darüber entscheidet? Was wird mit den Lohnabhängigen im Kraftwerk passieren? Brauchen wir nicht jetzt schon konkrete Pläne zu Umschulungen und Lohnausgleichen bei Erwerbsverlust? Und wie kommt die Öffentlichkeit an das dafür nötige Geld, welches natürlich aus den Profiten der Stadtwerke kommen muss (bevor die im Aktienhimmel auf dem Weg zur MVV Energie AG verpuffen), denn schließlich kam der Löwenanteil der 290 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern?

Dieser Ausstiegsplan kann offensichtlich von einem unter Profitzwang stehendem Privatkonzern nicht geleistet werden – Wir fordern daher eine Rekommunalisierung der Stadtwerke und solidarisieren uns in diesem Zuge mit dem „Bündnis Kielwasser“, einer Arbeitsgruppe von attac, die bereits seit 2003 für diese Forderung eintritt. Mit den Stadtwerken in öffentlicher Hand hätte es auch eine ernsthafte Einbindung der Bürger*innen bei dieser wichtigen Weichenstellung für die Zukunft der Kieler Energieversorgung geben können, ebenso wie eine tatsächliche Entscheidungsgewalt.

Nicht zuletzt gilt es nun vor allem, aktiv zu bleiben! Der Erdgasboom nimmt an Fahrt auf und das können wir im Angesicht der Zerstörung unseres Planeten auf keinen Fall hinnehmen. Während das Umweltbundesamt in den KN nur davon spricht, dass es angesichts der Planung vieler weiterer Gasmotorenkraftwerke dringender Maßnahmen zur Reduktion der Methanemissionen bedarf, verlangen wir einen sofortigen Stopp dieser Planungen und die Einleitung ernsthafter Schritte zur Energiewende. Dazu gehört es auch, schärfere Richtlinien für die Methanemissionen von Gaskraftwerken in Deutschland und Europa festzulegen, worauf die KN sich nun fokussiert. Aber das alleine ist völlig wirkungslos. Wieso gibt es zum Beispiel keine Regelung, dass zumindest neue Gaskraftwerke wasserstofffähig sein müssen, um nach einem parallelen Ausbau der Erneuerbaren schnell auf das Erdgas verzichten zu können? Wieso werden Gaskraftwerke subventioniert, während gleichzeitig Subventionen für Solar und Wind gekappt werden?

Rob Howarth nannte Erdgas in seinen Studien von 2014 eine „Brücke ins Nirgendwo“ – Wir möchten korrigieren: Es ist eine Brücke in den Untergang!

Quellen:

Howarth, R. W.: „A bridge to nowhere: methane emissons and the greenhouse gas footprint of natural gas“ in: Energy Science & Engineering 2 (2), 2014.

IPCC: Fourth Assessment Report (AR4) 2007, Working Group 1, the physical science basis.

IPCC: Climate change 2013: the physical science basis. (IPCC-Studien bei Howarth zitiert)

The Guardian: „BP lobbied against EU support for clean energy to favour gas, documents reveal“ (20.08.2015)

Umweltbundesamt: „The impact of shale gas on the costs of climate policy“, 2015.