Eine Aktion der Gruppe „VollGAS in den Untergang“, gefunden auf Indymedia. Die Gruppe ist erreichbar über: vollgas-untergang(ätt)riseup.net
Gestern, den 16.01.20., haben wir zusammen mit den Verantwortlichen der Stadtwerke, der Stadt und des Landes ihr neues „Küstengaskraftwerk“ gefeiert. Ihr Projekt hat uns Mut gemacht, dass auch in Zeiten des Klimawahnsinns noch lukrative Kapitalanlagen möglich sind – Sie können den Ökos sogar noch als Klimaschutzmaßnahmen verkauft werden, besser könnte es nicht laufen.
Mit einem offiziellen Sektempfang in unseren festlichsten Gewändern empfingen wir die Profiteur*innen vor dem Haupteingang des neuen Gaskraftwerks. Bei ihrer offiziellen Einweihung wollten sie leider niemanden dabei haben: Geschlossene Gesellschaft. So bauten wir unsere Stehtische also vor dem Tor auf und verfeuerten stinkende, qualmende Überreste des Konsumfestes am 24.12. in unserer Miniaturversion des Kraftwerks – in solidarischem Gruß an die großen Schornsteine der neuesten List des Kapitals hinter uns. Die teuren Autos unserer Freundinnen und Freunde fanden ihren Weg zur Feier also nur durch dreckigen Qualm, wobei wir einigen sogar unseren Infoflyer zu Erdgas im Klimakontext durchs Fenster reichen konnten (Findet ihr hier als Anhang – gerne ausdrucken und verbreiten. Mit leichten Änderungen auch außerhalb von Kiel wichtig: Der Erdgasboom geht weiter und nimmt an Fahrt auf!).
Die Aktion war ein voller Erfolg. Zu feinstem Swing und teurem Sekt wurde gesungen, gelacht und getanzt. Viele Passanten nahmen unseren Flyer dankbar entgegen und diskutierten mit uns über die Zukunft der Energieversorgung – Die Meisten sahen in Erdgas keinen gangbaren Weg. Es ist also zu vermuten, dass der Bau des Kraftwerks mit Bürger*innenbeteiligung deutlich schwieriger gewesen wäre und zu großen Debatten geführt hätte. Die Stadtwerke sind als Aktiengesellschaft allerdings zu 51% in privater Hand – Dank der Institution des Privateigentums blieben uns also diese Debatten erspart.
Leider hätten sich die Verantwortlichen nicht beschränkter äußern können: „Es ist weltweit die erste Demo von Klimaschützern, die sich gegen einen Kohleausstieg wendet.“, spottete Oberbürgermeister Ulf Kämpfer in den Kieler Nachrichten. Entweder haben die Verbrennungsprodukte des Kraftwerks also sein Hirn enorm vernebelt oder er hält diesen billigen Trick tatsächlich für einen schlauen Zug im PR-Spiel. Dass er sich nur noch mit diesen schlechten Angriffen auf uns zu helfen weiß, macht uns aber Mut – Offenbar haben wir einen Nerv getroffen. Statt zu der Treibhausgasbilanz von Erdgas etwas zu sagen, musste er diesen „Scherz“ machen. Auf dem Feld der sachlichen Debatte hätte er nämlich keine Chance gehabt: Erdgas hat nach verschiedensten Forschungen unterm Strich sogar eine schlechtere Treibhausgasbilanz als Kohle (siehe Infoflyer). Und natürlich sind wir für einen Kohleausstieg. Aber die Kohle durch einen noch schmutzigeren Energieträger zu ersetzen, nur damit die Öl- und Gaskonzerne immer noch Profit machen können, ist einfach nur ein schlechter Scherz.
Und der Erdgashype geht weiter. Die EU-Energiepolitik setzt dank Lobbyarbeit von BP, Shell & Co. enorm auf Erdgas – Es muss also befürchtet werden, dass Projekte wie das Küstengaskraftwerk in Zukunft überall durchgedrückt werden, wie zuvor auch schon in Flensburg. Dort haben sich die Stadtwerke ebenso für ihren Umstieg von Kohle auf Erdgas feiern lassen wie nun hier in Kiel. Vernetzt euch dagegen! Bildet euch und andere! Erdgas ist keine Alternative!
Begrüßungsrede eines Aktivisten:
„Sehr geehrte Damen und Herren, werte Profiteurinnen und Profiteure auf der anderen Seite dieses Zaunes, werte Gäste,
wir haben uns heute hier versammelt, um das neue Küstengaskraftwerk und die Arbeit der Stadtwerke und Stadt gebührend zu feiern. Leider wollten unsere Freundinnen und Freunde niemanden dabei haben, wenn sie jetzt dort drinnen feiern, und so müssen wir mit dem Platz vor der Tür vorliebnehmen. Das bringt uns aber auch direkt zu dem Hauptgrund, der uns hierhin geführt hat: Die Genialität, mit der die Stadtwerke und die Stadt dieses Projekt verkaufen. Dazu gehört nämlich auch, die Einweihung klammheimlich in geschlossener Gesellschaft durchzuziehen. Wir möchten die Verantwortlichen beglückwünschen und unseren Dank aussprechen: Ihre Arbeit macht Mut, dass auch in Zeiten des Klimawahnsinns noch vernünftige, lukrative Wirtschaft betrieben werden kann. Deshalb wollen wir nun zum Einstieg einen genaueren Blick auf dieses Projekt werfen, um für zukünftige Profitquellen daraus zu lernen.
Etwa 2012 beginnt die Geschichte: Das bisherige Steinkohlekraftwerk – hier gleich nebenan – wurde langsam alt. Die Stadtwerke sprachen davon, dass 2015 die technische Lebenszeit erreicht sei – gleichzeitig lief die Betriebserlaubnis 2018 aus1. Was nun genau den Neubau motiviert hat, ist eigentlich aber auch egal: Wenn eine Kapitalanlage wie das alte Kraftwerk 1970 an den Start ging, dann wird es auf jeden Fall Zeit für eine neuere, lukrativere. Zunächst sollte das wieder ein Kohlekraftwerk werden. Da wäre natürlich ein Aufschrei der Ökos zu befürchten gewesen – die PR-Kampagne wäre also richtig teuer geworden. Das alleine hätte man vielleicht noch verkraften können. Dann war aber auch absehbar, dass der Markt für Gas immer lukrativer wird – damit war die Entscheidung 2013 dann natürlich klar: Die Stadtwerke brauchten ein Gaskraftwerk.
Was hatte den Markt verändert? In erster Linie die Neuausrichtung der EU-Energiepolitik, die 2014 Subventionen und Investitionen für erneuerbare Energien ab 2017 weitestgehend kappte und alle national bindenden Ziele für die Erneuerbaren nach 2020 beendet.2 Das verdanken wir einem glänzenden Beispiel gelungener Lobbyarbeit – Seit mindestens 2011 liefen intensive Bemühungen von BP, Shell und Co., die Energiepolitik der EU auf Erdgas umzustellen. Das zeigten Dokumente, die 2015 öffentlich wurden.3 Howard Chase, der Vorstand des Brüssel-Büros von BP, machte den Ökos bereits 2011 weiß: „Ein breiter Einsatz von Erdgas könnte unmittelbare Emissionsreduktionen auf wirtschaftlicher Basis sichern und Eurogas glaubt, es könnte von großem, gemeinsamem Interesse sein, die Möglichkeit zu haben, die notwendigen politischen Rahmenbedingungen für solche Investitionen anzugehen.“ – Ein schlauer Schachzug, mit dem die großen Öl- und Gaskonzerne ihre Macht sichern konnten. Nicht nur wurde der Vormarsch der Erneuerbaren gestoppt, für den BP und Co. nicht vorbereitet sein konnten, sondern das wurde auch noch als Klimaschutzmaßnahme verkauft. Und im Zuge dieses absehbaren Umschwungs in der EU-Energiepolitik zog dann glücklicherweise auch die Bundesregierung nach: Die Förderung für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen wurde fast verdoppelt – für Anlagen also, die Strom und Wärme erzeugen und nicht nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert werden.
In dieser Marktsituation war die Entscheidung klar: Ein Gaskraftwerk, was Strom und Wärme erzeugt. Damit ließ sich nicht nur am meisten Profit machen, sondern die Lobby-Kampagne von BP und Co. hatte bereits einen Großteil der PR-Arbeit erledigt – Auf den Zug musste nur noch aufgesprungen werden: „Erdgas ist die Brückentechnologie auf dem Weg zur Energiewende!“.
Mit der Entscheidung für Erdgas haben die Stadtwerke und ihre Aktionäre also großes Feingespür für die Wirtschaftssituation bewiesen, noch bevor der Umschwung auf Erdgas in der EU-Politik so richtig an Fahrt aufnahm. Sehr früh erkannten sie die Zeichen der Zeit. Das machte sich auch direkt bezahlt: Den Löwenanteil der Finanzierung übernahm mit 105 Millionen Euro die Europäische Investitionsbank, das Geld kam also direkt aus EU-Geldern. Nochmal 30 Millionen Euro übernahm die Investitionsbank Schleswig-Holstein. Nachdem das neue Image von Erdgas als saubere Brückentechnologie einmal aufgebaut war, konnten endlich auch Steuergelder für die Investitionen locker gemacht werden – die Entscheidung für Gas war also sicherlich die raffinierteste, die die Stadtwerke je getroffen haben: Förderungen und Investitionen aus Steuergeldern, während der Profit zum großen Teil in privater Hand bleiben kann, und eine PR-Kampagne frei Haus.
Es musste natürlich trotzdem noch ein Weg gefunden werden, den Bau nicht zum Imageschaden werden zu lassen. Welche Hindernisse galt es dabei zu überwinden? Vor allem über die Klimabilanz des Erdgases durfte selbstverständlich auf keinen Fall gesprochen werden. Durch die immer größere Konzentration der Klimaforschung auf Erdgas wurde um 2014 herum nämlich allmählich klar, dass durch das entweichende Methan die Klimabilanz des Erdgases unterm Strich sogar schlechter ist als die der Kohle. Selbst moderate Berechnungen kamen für den Einsatz von Erdgas auf ca. 190% der Treibhausemissionen der Kohle.
Hier bewiesen die Stadtwerke und die von ihnen beauftragte Werbeagentur „dreizunull“ enormes Geschick: Sie schafften es, dass öffentlich nur über die geringeren CO2-Emissionen bei der Verbrennung gesprochen wurde – sonst hätte es vielleicht noch einen Aufstand der stärker werdenden, sogenannten „Klimagerechtigkeitsbewegung“ gegeben. Aber das erstarkende Klimabewusstsein konnte mit der Erzählung von den CO2-Emissionen sogar für das neue Kraftwerk gewonnen werden. Die Stadt schrieb sich das Kraftwerk für ihren „Klimanotstands“-Quatsch auf die Fahne – damit wurde sogar noch große Teile der PR-Kampagne von öffentlichen Geldern finanziert. Der Hauptbaustein dabei also: Das Küstengaskraftwerk ist der Motor der Kieler Energiewende. Dazu ließ sich das Ganze mit den üblichen Phrasen von Modernität und technologischem Fortschritt garnieren: „Das modernste Europas“ lächelt uns auf vielen Plakaten in der Stadt an. Und der ganze maritime Unsinn der „Kiel. Sailing. City.“-Kampagne wurde eingebunden – auch da war der öffentliche Diskurs bereits durch Kampagnen aus öffentlichen Geldern vorbereitet. Schlauer hätte die Stadt nicht eingebunden werden können.
Was die Stadtwerke und die Stadt dort zusammen auf die Beine gestellt haben, ist also eines der raffiniertesten Projekte seit langem und bietet uns eine Blaupause dafür, wie sich in Zeiten des Klimawahnsinns noch lukrative Kapitalanlagen finden und öffentlich rechtfertigen lassen: Das Klimabewusstsein muss bedient und für das Projekt gewonnen werden.
Außerdem sehen wir, wie wichtig der Schutz des Privateigentums ist. Wären die Stadtwerke immer noch in öffentlicher Hand, wäre die Marktsituation zwar die Gleiche gewesen, aber die Profitchance hätte gegen einen Prozess an „Bürgerbeteiligung“ durchgedrückt werden müssen. Natürlich wäre das mit der PR-Abteilung irgendwie möglich gewesen, aber sicherlich deutlich aufwendiger. So aber konnten die meisten Debatten verhindert werden, bevor sie entstehen – schließlich muss sich innerhalb unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung niemand für das rechtfertigen, was er mit seinem Eigentum tut. So lasst uns feiern, auf dass diese Freiheit auch bei den nächsten lukrativen Großprojekten immer noch geschützt ist!“