Kiel. Ab dem 29. November 2025 berichteten die Kieler Nachrichten (KN) über ihre Aktion „Gutes tun im Advent“. Jedes Jahr wird ein Projekt ausgesucht, für welches die KN dann eine Spenden-Kampagne organisiert. Dieses Jahr wird für den „Hilfs- und Unterstützungsfonds für Polizeibeschäftigte und deren Familien in Not e. V. (HUPF)“gesammelt. Klingt harmlos? Ist es aber nicht. Denn dabei wird komplett verkannt, dass die Polizei eine Institutioin ist, die ausdrücklich zum Ausüben von Gewalt ermächtigt wird und somit oft Polizist*innen ihre Gegenüber schädigen.
Modus der Aktion ist eine Reihe an Veröffentlichungen, die die persönlichen Geschichten von Polizeibeamt*innen erzählt, welche Gewalt im Einsatz erleben. Diese werden dann auf einer ganzen KN Print Seite abgedruckt. In den vergangenen Jahren wurde bei der Advent-Aktion beispielsweise für Frauenhäuser in Schleswig-Holstein, den Kampf gegen Krebs oder die Tafel SH Spenden gesammelt. 2023 wurden hierbei 392.491€ gesammelt. Das ist eine Menge Geld, die dieses Jahr dann an einen Verein geht, welcher Polizist*innen unterstützt?

Irgendwie doch paradox, wo es allein 2025 wieder unzählige Vorfälle von massivster Polizeigewalt gab. Gehen wir nur ein paar Tage zurück, wo die Polizei bei vielfältigen Protesten in Gießen, gegen die Gründung der AfD-Jugend, Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzte, wobei viele Aktivistis verletzt wurden. Mehrere Aktivist*innen erlitten ernste Verletzungen, von den psychischen Folgen mal ganz abgesehen. Minutenlang lagen einige auf dem Boden, teils bewusstlos, bis sie dan mit dem RTW abtransportiert und von den Sanis versorgt wurden. Gleich mehrere Videos tauchten am Abend auf, auf denen verschiedene Einsatzhundertschaften zu sehen sind, die extatisch brüllend mit gezogenen Knüppeln auf langsam gehende oder stehende Demozüge zurennen und auf diese einprügeln. Die Polizei verteidigte diese brutalen Szenen oder leugnete sie und verbreitete in bester Tradition der Täter-Opfer-Umkehr zugleich die Info, Polizist*innen seien diejenigen, die durch Flaschenwürfe verletzt worden seien. Ein paar weitere Tage vorher wurde am 16.11 ein zwölfjähriges gehörloses Mädchen in Bochum lebensbedrohlich von einem Polizisten angeschossen. Zum Gedenktag an die Nakba im Mai, kam es vor allem in Berlin zu heftigster Gewalt seitens der Polizei, wie im Allgemeinen bei palästinasolidarischen Protesten. Und in der Nacht zum 20. April wurde Lorenz A., ein Schwarzer junger Mann aus Oldenburg, durch vier Schüsse von hinten durch die Polizei ermordet.
All das sind keine Einzelfälle – keine Zufälle. All dies zeigt die strukturellen Probleme der Polizei und wieder, dass besonders People of Color (PoC), Menschen mit Behinderung, queere und arme Menschen besonders stark betroffen sind. Selten sind sie und ihre Angehörigen es, denen nach gewaltvollem Verhalten der Polizei zugehört und geglaubt wird, selten erhalten sie Unterstützung. Viel mehr ist es oft die Polizei selbst, die bewusst unvollständige oder gar falsche Darstellungen der Vorfälle veröffentlicht, um die eigentlichen Gewaltbetroffenen zu Täter*innen zu machen. Auch rassistische und behindertenfeindliche Narrative spielen hierbei eine Rolle, etwa, wenn die Polizei behauptet, sie sei zuvor angegriffen worden und habe sich bedroht gefühlt. Statt Personen, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden zu beruhigen und die Situation zu deeskalieren, wird in vielen Fällen schnell zur Schusswaffe gegriffen und damit gleichzeitig eskaliert: Für Lorenz A., für den 16 jährigen suizidgefährdeten Geflüchteten Mouhamed Lamine Dramé und für viele weitere Menschen endete eine solche Eskalation tödlich. Ihre hinterbliebenen Freund*innen und Angehörigen müssen danach jedoch nicht nur die unermessliche Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen ertragen, sondern sich auch mit aller Kraft für eine Aufklärung des Geschehens, gegen die verdrehte Version der Polizei und für Gerechtigkeit einsetzen. Finanzielle Unterstützung erhalten sie dabei nicht oder kaum.
Derzeit sind bundesweit viele neue Gesetze auf dem Weg oder bereits eingeführt, die der Polizei immer weitreichendere Eingriffe zugestehen, vor allem auch gegen linken Protest. In Berlin wurde erst Anfang Dezember eine Änderung des Polizeigesetzes verabschiedet, die den Ermittlungsbehörden weitrechende Befugnisse gibt. So wurde unter anderem der Weg frei gemacht für KI gestützte Kameraüberwachung, Verhaltensscanner und Palantir-artige Datenanalysen. Auch ist es der Berliner Polizei jetzt möglich heimlich in Wohnungen einzubrechen um Trojaner zu installieren. In weiteren Bundesländern wie bspw. Niedersachsen und Thüringen ist ebenfalls eine weitere Verschärfung der Polizeigesetze geplant.
In Schleswig-Holstein wurde eine zweite Einsatzhundertschaft ins Leben gerufen, die seit diesem Jahr immer wieder Antifaschist*innen drangsalierte und verletzte. Mit Dauerüberwachung auf Protesten, brutalen Festnahmen durch die BFE und absurden Anzeigen im Nachhinein versucht die Polizei uns einzuschüchtern und vom Protest abzubringen – auch Knochen wurden dabei schon gebrochen.
Im Staat hat die Polizei ausdrücklich die Aufgabe Gewalt auszuüben. Dasführt schnell dazu, dass das zur Gewohnheit wird und nicht mehr wahrgenommen wird und das ist ein Problem. Den Rechtsruck, den wir gerade erleben, trägt die Polizei als staatliche Exekutive ebenso mit, wie sie auch alle weiteren Entwicklungen in diese Richtung mittragen wird, die noch folgen. Sie trägt mit, dass das Grundrecht auf Asyl in ganz Europa und auch in Deutschland durch die GEAS faktisch abgeschafft wurde. Sie trägt all das nicht nur passiv mit und verweigert es zu hinterfragen. Nein, sie führt ganz konkret die neu beschlossenen Gesetze und Befehle aus, die dazu führen, dass tausende von Geflüchteten jeden Tag um ihre Existenz fürchten müssen. Denn Deutschland schiebt ab, in Länder, in denen den Abgeschobenen Hunger, Obdachlosigkeit oder gar Folter und Mord droht. Polizist*innen sind diejenigen, die Menschen nachts aus dem Schlaf reißen, um sie ins Abschiebegefängnis nach Glückstadt oder direkt zum Abschiebeflieger zu zwingen. Diese alltägliche, normalisierte Gewalt kann sie nur deshalb ausüben, weil sich das Bild vom ‚Freund-und-Helfer-Polizei‘ so hartnäckig hält.
Die KN unterstützt dies mit der Inszenierung der Polizei als Opfer
und verschleiert so die Gewalt durch die Polizei – denn selbst in den geschilderten Situationen geht es auch darum, dass auch die Polizei Gewalt ausübt, sei es indem sie in eine Wohnung einbricht, kontrolliert, versucht einzusperren oder zuschlägt. Uns geht es hierbei ausdrücklich nicht um die einzelnen, teils durchaus bedrückenden Geschichten, die die Polizist*innen erzählen. Uns geht es um die strukturelle Ebene, die hier von Kiels wichtigster Zeitung gänzlich ausgeblendet wird und um das Narrativ, welches sich aus einer unkritischen, weißen und gut situierten Perspektive speist und all jene anderen Perspektiven verkennt.
Deshalb kritisieren wir das falsche Bild, das die KN zeichnet und folglich den Spendenaufruf und sagen: Wirklich Gutes tun im Advent und für die Menschen spenden, die von Polizeigewalt betroffen sind.
Hier wird dringend Geld gebraucht:
https://www.gofundme.com/f/12-jahriges-gehorloses-madchen-durch-polizei-bochum-verletzt
(Geld für das schwer verletzte gehörlose Mädchen und ihre Familie)
https://www.gofundme.com/f/gerechtigkeit-fur-lorenz
(Geld für die Familie vom erschossenen Lorenz A.)
https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/spenden-2/
(Spenden für den Kampf um Gerechtigkeit für den in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten und ermordeten Pury Jalloh)
https://kop-berlin.de/spenden
(Geld für die Arbeit gegen rassistische Polizeigewalt und für die Unterstützung von Betroffenen rassistischer institutioneller Diskriminierung)
https://doku.deathincustody.info/spenden/
(Geld für verschiedene Initiativen und Gruppen, die sich für die Aufklärung von rassistischer Polizeigewalt und Toden in Gewahrsam einsetzen)
https://rote-hilfe.de/aktiv-werden/spenden
(Geld für Menschen, die sich für Antifaschismus, Antirassismus, für Klimagerechtigkeit, Feminismus und vieles mehr einsetzen und die dafür mit Gerichtsprozesskosten, Anwaltskosten, Strafen usw. konfrontiert sind)
https://abc-belarus.org/en/about-us/donate/
(Geld für anarchistische Gefangene in Belarus)