+ + + Pressemitteilung: Besetzung auf dem MFG-5-Gelände in Kiel + + +

Kiel. In der Nacht vom 27. auf den 28.10.2025 errichteten Aktivist*innen der Turboklimakampfgruppe (TKKG) auf dem MFG5-Gelände in Kiel-Holtenau auf Bäumen eine Plattform, die sie seit dem besetzt halten. Sie protestieren mit der Aktion gegen den drohenden Verkauf des Geländes durch die Stadt Kiel an die Bundeswehr. Sie setzen sich dafür ein, dass das Gelände als allen Menschen zugänglicher und vielfältiger Ort erhalten und entsprechend gestaltet wird.

Unter dem Aktionsnamen „Voßbrook für alle – MFG-5 bleibt zivil.“ haben die Aktivist*innen eine Baumgruppe nahe dem Ufer der Förde besetzt. Eine Mahnwache am Boden unterstützt die Besetzer*innen, möchte informieren und lädt dazu ein, sich mit dem Protest zu solidarisieren. Mit der Aktion möchten sie die zahlreichen, bereits bestehenden Initiativen, die sich gegen den Verkauf richten, unterstützen und zusätzlichen politischen Druck aufbauen. Auf Transparenten kritisieren sie auch die angekündigten Kürzungen im Sozialbereich, während gleichzeitig hohe Milliardenbeträge in die Aufrüstung fließen. Sie befürchten eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft mit negativen Folgen für die Demokratie.

„Aus dem Rathaus heißt es, Kiel müsse Verantwortung übernehmen und seinen Teil zur Landesverteidigung leisten. Aus unserer Sicht soll die Stadt jedoch ein sicherer, lebenswerter Ort für alle sein und nicht dazu dienen, der Bundeswehr Raum und ansonsten perspektivlose Menschen als Rekrut*innen zu liefern. Die Kieler Haushaltssperre hat bereits dazu geführt, dass Projekte für benachteiligte Jugendliche, Geflüchtete, Frauen und behinderte Menschen gekürzt oder ganz gestrichen wurden. Der soziale Kahlschlag auf Bundesebene drängt die Ärmsten in der Gesellschaft in die Wohnungslosigkeit.“, kritisiert Aktivistin Mira Schneider.

Der Voßbrook war bis 2012 Standort des Marinefliegergeschwaders 5. Seit seinem Abzug aus Kiel laufen die Planungen der Stadt, die das Gelände 2020 schließlich kaufte, um dort ein neues Stadtquartier mit umfangreichen Wohn- und Gewerbeflächen umzusetzen. Dabei setzte die Stadt auf die Beteiliung und die Einbindung der Bürger*innen und versprach viel: Raum für gemeinschaft­liches Handeln, für Vielfalt und Naturverbundenheit. Derzeit befindet sich das Gelände in der sogenannten „Zwischennutzung“. In den ehemaligen Kasernen wohnen geflüchtete Menschen, ein Skatepark und ein Jugendtreff sind entstanden. Auch haben hier der Wagenplatz „Schlagloch“, der sich als alternativer Kultur-, Bildungs- und Wohnort versteht, und der FC Holtenau 07 eine neue Bleibe gefunden.

Aus einem Gespräch am Freitag zwischen Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) und der Bundeswehr wurde nun bekannt, was konkret geplant ist: große Teile des Seebataillons sollen nach Holtenau verlegt werden. Ursprünglich als defensive Sicherungseinheit strukturiert, wird diese im Zuge der sogenannten Zeitenwende zu einer offensiven Einheit, u.a für den „maritimen Jagdkampf“, vergrößert. Hierfür soll das Gelände für etwa eine Milliarde Euro erneut zum Stützpunkt ausgebaut werden. Hinzu kommt die Anschaffung zahlreicher neuer Waffensysteme, die mindestens im zweistelligen Millionenbereich liegen.

„Die Stationierung von Offensivtruppen und die mitten in der Stadt befindliche Produktion schwerer Kriegswaffen, die immer weiter ausgebaut wird, gefährdet nicht nur die Zivilist*innen in Kiel. Krieg beginnt hier. Während sich Deutschland gegenüber denen abschottet, die vor der mörderischen Gewalt fliehen, töten und bedrohen Waffen aus Kiel Menschen weltweit. Sowohl die Türkei, als auch Israel begehen schwerste Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Genozid – und dennoch liefert Deutschland weiter Waffen. Als Kieler*innen können wir nicht tatenlos zusehen und protestieren daher lautstark und entschieden dagegen.“, meint Aktivist Mark Thelen.

Laut den Aktivist*innen geht vom ehemaligen MFG-5 Gelände eine große Symbolwirkung aus. Es stehe für Lösungsansätze auf drängende Fragen nach Mit- und Selbstbestimmung, Sozialer Gerechtigkeit, Wahrung und Schutz von Menschenrechten und von Lebensgrundlagen, wie Wohnraum und Klimagerechtigkeit. Dem gegenüber stehe eine von Krieg und Flucht geprägte, unsichere Zukunft, deren Grundlage die geplante Aufrüstung bilde.

„Wir laden alle ein, sich der Besetzung anzuschließen oder eigene Aktionen zu starten. Lasst uns den Voßbrook weiter zu einem Ort machen, der für alle da ist – und lasst uns verhindern, dass er in Zukunft im Zeichen der Zeitenwende für Aufrüstung, Gewalt und Zerstörung steht.“, so Aktivistin Mira Schneider.

Die auf Social Media und der Website veröffentlichten Bilder stehen, bei entsprechender Quellenangabe zur freien Verfügung. 

Pressebüro: +49 1521 36 31 195

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Unsere ausführliche Erklärung:

Vom Wald bis zur Waterkant: Voßbrook bleibt in aller Hand!

Eine Erklärung der Besetzer*innen auf dem ehemaligen MfG5-Gelände in Kiel Holtenau

Schwer bewaffnete Soldat*innen, mitten in Hamburg. Panzer schleppen sich Stück für Stück weiter durch die Straßen, an deren Rändern ganz normale Menschen stehen und das Geschehen beobachten. Doch auf einmal bengalische Feuer – rotes Licht erklimmt flackernd den dunklen Himmel. Verkleidete Soldat*innen haben sich als ‚Protestaktion‘ auf die Straße gesetzt und eine vermeintliche Blockade errichtet. Die Polizei räumt das absurde Theater aus dem Weg, dann setzt der ebenso absurde Zug seinen Weg fort.

So oder so ähnlich hat sich die dreitägige Militärübung ‚Red-Storm-Bravo‘ letzten Monat in Hamburg abgespielt, begleitet von echtem Protest, der sich in einem großen Demozug ebenfalls seinen Weg durchs Stadtbild zog. Es war die größte Militärübung seit dem kalten Krieg, eine weitere wurde bereits für nächstes Jahr angekündigt. Im Fokus des Manövers stand die ‚zivil-militärische Zusammenarbeit‘, die Bundeswehr kooperierte eng mit Polizei, Feuerwehr, Behörden und auch Unternehmen.

Wenige Tage später: Ein Bundestagsabgeordneter der CDU fordert, den Spannungsfall auszurufen, weil Drohnen, die Infrastruktur vermessen haben sollen, unter anderem über Kiel gesichtet wurden. Ein Spannungsfall, das bedeutet die Vorstufe zum Verteidigungsfall. Er dient der Mobilmachung und hätte weitreichende Einschnitte in das Leben von uns allen. Noch weitreichender als alles, was bis jetzt eh schon passiert ist. Es würde zum Beispiel bedeuten, dass LKW-Fahrer*innen gegen ihren Willen dazu verpflichtet werden könnten, statt Lebensmitteln Güter für das Militär zu transportieren. Familien könnten aufgefordert werden, ihr Zuhause für Soldat*innen zu räumen. In Grenzregionen könnte Zivilist*innen aufgrund militärischer Sperrzonen verboten werden, ganze Landstriche zu betreten. Die Produktion in Betrieben könnte verpflichtend von Konsumgütern auf militärische Produktion umgestellt sowie Lebensmittel rationiert werden. Die Bundeswehr dürfte im Spannungsfall zivile Gebäude schützen und den Verkehr regeln. Menschen, die mal im medizinischen Bereich gearbeitet haben, könnten einen Pflichtdienstbescheid erhalten – also dazu gezwungen werden, die hunderten zivilen wie militärischen Verletzten zu versorgen, die Kriege hervorbringen. Auf gerade solche Szenarien haben sich Behörden, wie die Bundesagentur für Arbeit, mit dem Übungsmanöver in Hamburg vorbereitet.

In den vergangenen Monaten gab es auch zu Wasser immer wieder Übungsmanöver, beispielsweise BALTOPS kurz vor der Kieler Woche. Viele der teilnehmenden Schiffe liefen daraufhin in die Kieler Förde ein, um dann familienfreundlich und festlich der Öffentlichkeit beim sogenannten ‚Open-Ship-Day‘ präsentiert zu werden. Erst kürzlich erhielt die Kieler Werft TKMS (ThyssenKruppMarineSystems) einen Großauftrag der deutschen Marine im Wert von über 800 Millionen Euro: Sechs U-Boote sollen modernisiert werden, darüber hinaus sollen vier weitere hinzukommen. Das Unternehmen ging zudem erst diesen Monat an die Börse, um durch Beteiligung von Aktionär*innen mit mehr Kapital den Kieler Standort noch weiter auszubauen. Deutschland rüstet sich – bzw. wird ganz gezielt von der Regierung aufgerüstet, auch, um den im Juni in Den Haag beschlossenen NATO-Vorgaben gerecht zu werden. Dazu gehört ebenfalls die erst kürzlich quasi wieder eingesetzte Wehrpflicht.

Schon nächstes Jahr kommt der neue Wehrdienst. 18-Jährige jeden Geschlechts bekommen dann automatisiert Fragebögen zur persönlichen Wehrbereitschaft zugesendet, die männlich einsortierten unter ihnen sind dazu verpflichtet, diesen auszufüllen. Tun sie das nicht, droht ihnen ein Bußgeld. Die angestrebte Soldat*innenzahl wurde, angesichts der NATO-Vorgaben hochgesetzt: Deutschland braucht demnach in den nächsten Jahren 50.000-60.000 Soldat*innen mehr als heute. Wird diese Zahl nicht erreicht (was sehr wahrscheinlich ist), wird die vorerstige scheinbare Freiwilligkeit zur Pflicht. Außenminister Wadephul von der CDU wendete sich zunächst noch mit einem Ministerveto gegen den Entwurf – jedoch nur, weil er ihm nicht weit genug ging. Später zog er das Veto zurück. Doch auch vielen anderen CDUlern ist das Gesetz nicht genug, Bundeskanzler Merz etwa will den Zwang auch auf weiblich einsortierte Menschen ausweiten. Die ab 2026 zwangsweise ausgefragten Männer jedenfalls sollen ab 2028 zur Musterung vorgeladen werden. Durch eine verhältnismäßig gute Bezahlung soll den jungen Menschen der Dienst schmackhaft gemacht werden: Freiwillige bekommen bei der Bundeswehr ab sofort direkt über 2.000 Euro netto im Monat – früher ging das nur bei längerer Verpflichtung. Das ist im Vergleich mit so manchem Ausbildungsgehalt ziemlich viel – und dürfte leider angesichts der aktuellen finanziellen Lage vieler Familien gar nicht mal so irrelevant sein.

Ganz schön kalt geworden hier

Während nämlich – wie ebenfalls beim Gipfel in Den Haag beschlossen – immer mehr Geld ins Militär gepumpt wird, wird an anderer Stelle immer mehr Geld abgezogen und gekürzt.

Bundeskanzler Merz tauchte in den vergangenen Wochen immer wieder mit der Forderung auf, die Sozialleistungen so weit es geht zu kürzen – auch wenn klar ist, dass die Einsparpotentiale insgesamt relativ niedrig sind, beispielsweise deshalb weil die meisten Leute, die Bürgergeld beziehen schlicht mit ihrem Job nicht ausreichend verdienen. Deutschland, so Merz, könne sich dieses System nicht mehr leisten, junge Menschen sollen laut ihm früher und alte Menschen länger arbeiten. Mindestens 10% wolle er beim Bürgergeld einsparen, das sind 5 Mrd. Euro im Jahr. Konkret wurde nun kürzlich (unter Mitarbeit der SPD) beschlossen, dass Menschen schon nach zwei verpassten Terminen im Jobcenter 30% des Geldes gestrichen werden soll. Wird ein dritter Termin verpasst, droht die vollständige Streichung – bei einem weiteren verpassten Termin soll gar die Unterstützung bei der Unterkunftsfinanzierung wegfallen. Für viele Menschen, die etwa suchterkrankt, psychisch oder chronisch krank sind oder andere Menschen, die in der zutiefst unfairen und krisenanfälligen kapitalistischen Ordnung von diesen Geldern abhängig sind und denen es durch Sprachbarrieren oder Überarbeitung oft schwer fällt, alle Termine einzuhalten, werden dadurch in die Wohnungslosigkeit gedrängt.

Auch in Kiel ist die Krise spürbar. Der Oberbürgermeister*innenwahlkampf in Kiel dreht sich in großen Teilen darum, wie mit dem viele Millionen Euro großen Loch im Haushalt für das nächste Jahr umgegangen werden soll. Die von vielen politischen Akteur*innen befürworteten Kürzungen würden alle Kieler*innen unmittelbar betreffen – insbesondere diejenigen, die es finanziell am schwersten haben. Die Kosten für Kitas sollen weiter steigen, Busfahren soll teurer werden, Projektmittel und Zuschüsse für Menschen mit Behinderungen und Migrationsberatungen sollen drastisch gekürzt werden, Unterstützungs- und Beratungsangebote für Frauen sollen weniger Geld bekommen, Projekte für Kinder und Jugendliche, wie das Sommerferienprogramm in Gaarden, sollen gänzlich gestrichen werden. Während Stellen in der städtischen Verwaltung abgebaut werden sollen, wird gleichzeitig ein massiver Ausbau des kommunalen Ordnungsdienstes geplant, mitsamt eigener neuer Wache in Kiel-Gaarden. An teuren Prestigeprojekten wie der Olympiabewerbung, von denen wir Kieler*innen am Ende kaum etwas haben, wird währenddessen weiter festgehalten. Dadurch plant die Stadt – trotz der massiven Einschnitte in wichtige Projekte und Angebote für alle – weiter mit einem viele Millionen Euro großen Defizit. Da kommen die neuen NATO-Ziele und die damit einhergehenden Pläne der Bundeswehr gerade recht: Das MfG5-Gelände, auf dem seit vielen Jahren eigentlich zahlreiche neue Wohnungen hätten gebaut werden sollen, droht zurück an die Marine verkauft zu werden.

Das MfG5-Gelände liegt im nördlichen Kieler Stadtteil Holtenau Ost. Es macht mit 70 von 79 Hektar den größten Teil des Stadtteiles aus und wurde 2020 von der Stadt Kiel gekauft. Der Name MfG5 rührt von der militärischen Geschichte des Geländes her – bereits 1913 wurde dort ein Seeflughafen mit Marinefliegergeschwader (kurz MfG) eingerichtet. Es diente u.a. als Ausbildungsstätte und wurde nach der britischen Besatzung in Folge des Zweiten Weltkrieges ab 1958 erneut für die Marineflieger der Bundeswehr genutzt. 2012 wurde das Geschwader verlegt, seit 2014 ist das Gelände auch für Zivilist*innen begehbar.

Viele Jahre lang gab es Pläne für den Bau neuer Häuser und die Errichtung eines ganzen neuen Wohnviertels. Seit 2016 ist Holtenau Ost offiziell Sanierungsgebiet. 2024 wurde ein Plan beschlossen, der u. a. über 2.250 neue Wohnungen sowie neue Kitas und Schulen, Bademöglichkeiten und einen Anschluss an die ebenfalls geplante, aber noch lange nicht fertiggestellte Stadtbahn vorsieht. Auf der Website der Stadt wird von einem ‚Zukunftsquartier‘ geschwärmt, das als ‚internationaler Botschafter‘ fungieren und die ‚Verbindung von Mensch und Natur‘ sichtbar machen soll. Es ist von Vielfalt, Austausch und Gemeinschaft die Rede. Praktisch passiert ist davon bisher nicht viel.

Aktuell befinden sich auf dem Gelände u.a. ein Skatepark, eine Gemeinschaftsunterkunft für etwa 900 Geflüchtete sowie der Wagenplatz Schlagloch. Auch von Spaziergänger*innen wird das über 200 Jahre alte und 20 Hektar große Waldstück ‚Voßbrook‘ und der Ausblick auf die Kieler Förde rege genutzt.

Seit Anfang September ist Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) nun im Gespräch mit der Bundeswehr. Er hat bereits angekündigt, sich bis Ende des Jahres mit der Bundeswehr auf einen ‚Kompromiss‘ geeinigt haben zu wollen. Diese will das Gelände wegen seiner Infrastruktur und seiner ‚strategisch wichtigen Lage‘ zurückkaufen. Auch große Teile der Lokalpolitik von AfD bis Grüne wollen einen Kompromiss mit der Bundeswehr eingehen oder ihr das Gelände gar vollständig überlassen. Vor allem erhofft sich Kämpfer, Geld aus dem Sondervermögen der Bundeswehr für die Stadt zu bekommen.

Deutschland auf Kriegskurs

‚Wir alle‘ sollen zurückstecken, während schon seit Monaten viel Geld auf Kosten der Allgemeinheit zusammengekratzt wird, um in Aufrüstung und Bundeswehr gesteckt zu werden. Dies begründen die Herrschenden mit einem scheinbar edlen Ziel: Der Kampf gegen die Feind*innen ‚unserer‘ Demokratie. Kanzler Merz meint, Putin wolle mit seinem Angriffskrieg nicht nur die Ukraine annektieren – er wolle auch ‚unsere’ Demokratie destabilisieren, denn er fühle sich bedroht durch die ‚Kraft der Freiheit‘ und die ‚Kraft der Demokratie‘. Eine personell und materiell starke Armee sei das effektivste Mittel, Kriege (mit Russland) zu verhindern. Derweil bezieht Deutschland weiter Öl- und Gaslieferungen aus Russland, auch wenn dies mittlerweile nur noch indirekt über Zwischenhändler*innen oder die sogenannte ‚Schattenflotte‘ geschieht. Anstatt Putin also durch konsequente wirtschaftliche Saktionen die Mittel zu kürzen, diesen Krieg überhaupt führen zu können, wird unsere Gesellschaft auf den Krieg vorbereitet und verliert damit eben jene Freiheiten, die es angeblich zu verteidigen gilt. Auch die Zusammenarbeit mit NATO-Partner*innen wird weiter ausgebaut: So wurde erst Mitte Oktober bekanntgegeben, dass Deutschland, sowie weitere europäische Länder, sich bereit erklärten, den USA Waffen für viele Millionen Euro abzukaufen. Bezeichnend sind in dieser Hinsicht auch die kürzlich wieder begonnenen Gespräche über nukleare ‚Abschreckung‘. Der französische Staatspräsident Macron bot unlängst an, Deutschland mit unter den ‚Schutz‘ atomarer französischer U-Boote zu stellen. Dass Merz dies ernsthaft in Erwägung zieht und nicht darauf hinweist, dass Frankreich endlich aufhören sollte Uran in Russland zu kaufen, verdeutlicht die Prioritäten der Regierung. Doch dass diese Strategie des Wettrüstens und der vermeintlichen Abschreckung keineswegs ein Garant für Stabilisierung, Frieden und erst recht nicht für ‚freiheitliche demokratische Werte‘ in Europa und auf der Welt sind, ist offenkundig. Nicht erst durch die atomare Komponente wird diese außenpolitische Linie vielmehr zu weiteren und verschärften Spannungen führen.  Mit jedem weiteren Schritt der Aufrüstung wird die Gefahr für weitere Eskalation, noch mehr Zerstörung und noch mehr Tote steigen.

Doch auch jetzt schon bekommen wir täglich zu sehen und zu spüren, was es heißt auf Kriegskurs zu sein: Parallel zur Aufrüstung nach außen gehört auch eine innenpolitische Mobilmachung gegen alle, die sich nicht kleinlaut der autoritären Ausrichtung hingeben. Neben den Sozialhilfeempfänger*innen sind es in erster Linie Geflüchtete, die Monat für Monat weiter eingeschränkt werden. Fast 1,5 Jahre ist es nun her, dass mit dem Beschluss der GEAS, dem ‚Gemeinsamen europäischen Asylsystem‘, das im Grundgesetz fest verankerte Recht auf Asyl quasi abgeschafft wurde – durch die vermeintlich progressive Ampelregierung. Kommendes Jahr soll dieses Gesetz in Kraft treten und es wird weitreichende Folgen haben, wird die Abschottung Europas und die Bekämpfung Geflüchteter noch weiter auf die Spitze treiben. Als sei es noch nicht genug, dass Menschen, die aufgrund einer (neo)kolonialen Weltordnung gezwungen sind zu fliehen, hier in Deutschland von Tag eins an abgesondert und unterdrückt werden: Wenn sie gezwungen werden, in abgelegenen Massenunterkünften auf engem Raum mit wenig Privatsphäre und oft ohne eigene Küche über Jahre zu leben, wenn sie die Stadt, in der sie leben, nur mit behördlicher Erlaubnis temporär verlassen dürfen und wenn sie mit der Bezahlkarte weiterer massiver Kontrolle und Schikane ausgesetzt sind. Wenn Bundeskanzler Merz wiederholt ganz offen zugibt, er wolle Menschen aufgrund ihres Aussehens aus Deutschland loswerden, weil sie ihm nicht ins Stadtbild passen. Der Ruf nach immer mehr Abschiebungen, nach immer mehr und immer längerer Inhaftierung in Abschiebeknästen lässt die Bedrohlichkeit der Stimmung weiter bis ins unerträgliche wachsen. Deutschland schiebt ab – egal, was den Menschen dort droht. Nach Afghanistan, mithilfe der Taliban, die innerhalb weniger Jahre das Leben in diesem Land in einen Albtraum für Frauen, Queers und Andersdenkende verwandelt haben. In den Iran, wo seit der feministischen Revolution immer wieder grausame Szenen aus den Foltergefängnissen oder von Hinrichtungen an die Öffentlichkeit dringen. Nach Nigeria, wo die Klimakrise die blutigen Auseinandersetzungen, die immer wieder Menschenleben fordern, weiter antreibt und den Leuten ihre Existenzgrundlage entzieht. Kurd*innen in die Türkei, von wo aus Präsident Erdogan auch mit deutschen Waffen immer wieder Angriffe auf die kurdischen Gebiete starten lässt. Nicht einmal russische Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen bekommen Asyl.

Nicht viel ist übrig geblieben von der Welle der Empörung und halbgaren Solidarität, die sich nach dem Bekanntwerden des ‚Treffens von Potsdam‘ und den ‚Remigrationsplänen‘ von AfDlern, CDUlern, Identitärer Bewegung und anderen Akteur*innen der extremen Rechten in der ganzen Bundesrepublik erhob. Die Demonstrationen, an denen beinahe wöchentlich ein vielfaches der sonst bestbesuchtesten politischen Versammlungen zusammen kam, sind abgeebbt. Diejenigen, die weiter gegen den anhaltenden Rechtsruck und die weiterhin steigenden Erfolgsaussichten der AfD auf die Straßen gehen, müssen dabei mittlerweile eigentlich stets damit rechnen, mit Verletzungen und/oder einem neuen polizeilichen Ermittlungsverfahren gegen sich die Versammlung zu verlassen. Auch hier in Kiel und Schleswig-Holstein brach die eigens für solche politischen Versammlungen geschaffene neue Einsatzhundertschaft bereits Knochen von Antifaschist*innen, setzte mehrfach in großem Ausmaß heftige körperliche Gewalt und Pfefferspray ein und leitete zahlreiche überzogene Ermittlungsverfahren ein. Auch der Verfassungsschutz ging in den letzten Monaten vermehrt in die Offensive, bedrängte junge Antifas in ihrem Zuhause und versuchte, sie mit Drohungen bezüglich anstehender Proteste einzuschüchtern und von ihrer politischen Aktivität abzubringen. Mit dem neuen Landesverfassungsschutzgesetz, welches gerade auf den Weg gebracht wird, wird die Repressionsbehörde noch weitere Befugnisse erhalten. Berufsverbote kommen bundesweit wieder in Mode, vorgeblich für extrem Rechte, tatsächlich angewandt jedoch gegen Kapitalismuskritiker*innen oder palästinasolidarische Menschen.

Bundesweit am härtesten von brachialer Polizeigewalt betroffen, dürften in den vergangenen Monaten wohl antimilitaristische und palästinasolidarische Demonstrant*innen gewesen sein. Die zahlreichen Proteste, die nun seit zwei Jahren auf die genozidale Gewalt und Zerstörung durch israelische Streitkräfte in Gaza und auf die deutsche Mittäterschaft aufmerksam machen und diese ankreiden, wurden nicht nur immer wieder auf juristischer Ebene mit allen Mitteln versucht zu unterbinden, in vielen Städten kam es zudem immer wieder auch zu heftiger Polizeigewalt während der Demos. Unterdessen konnte Deutschland immer weiter Waffen an Israel liefern und damit einen guten Teil dazu beitragen, zigtausende Palästinenser*innen grausam zu töten, hunderttausende zu verletzen, vertreiben und traumatisieren sowie ihre Häuser dem Erdboden gleich zu machen. Jetzt, wo zumindest vorerst ein Ende des täglichen Mordens offiziell vereinbart wurde, ist das erste was Friedrich Merz von sich gibt, es gebe nun keinen Grund mehr zu demonstrieren. Als wäre es nicht offensichtlich, dass die Folgen der Zerstörung noch viele Jahre spürbar sein werden, dass der Wiederaufbau angesichts der Tragweite ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint, dass viele Menschen mit ihren getöteten Verwandten, Freund*innen und Nachbar*innen für immer so vieles verloren haben. Frieden ist jedoch so viel mehr als nur die Abwesenheit von direkter militärischer Gewalt. Für ein Leben in Würde für alle, muss es Gerechtigkeit geben – und ein Ende rassistischer Unterdrückungsverhältnisse.

Auf zu neuen Taten, das Vaterland verraten!

Und was ist mit dem Klima? Beobachtet man, wie viel bzw. wie wenig Raum die Klimakrise und ihre Folgen im politischen Diskurs überhaupt noch bekommen, könnte man zu dem Schluss kommen, dass sie auch in der Realität kaum noch Relevanz hat. Leider ist das Gegenteil der Fall: Die Klimakrise als Fluchtgrund wächst in ihrer Bedeutung stetig an und hat mit ihren Begleiterscheinungen wie vermehrten und stärkeren Dürren, Überschwemmungen und Stürmen tausende Tote und viele Tausende Flüchtende zur Folge. Der Ausbau fossiler Infrastruktur hier in Deutschland geht weiter und zementiert dabei (neo)koloniale Ungleichheitsverhältnisse: Während wir durch mehr Autobahnen oder durch weitere und stärkere Nutzung von fossilen Energieträgern wie Kohlekraft mehr schädliche Emmissionen ausstoßen und stärker zur Anheizung der Klimakrise beitragen, sind es weitaus ärmere Regionen wie Marsabit in Ostafrika oder Pakistan, die überdurchschnittlich stark betroffen von den Folgen sind. Während bestehende Konflikte und Kriege etwa durch (land)wirtschaftliche Instabilität und Wasserverknappung als Folgen der Klimakrise weiter angetrieben und neue Konflikte geschaffen werden, gießt die deutsche Bundesregierung weiter Öl ins Feuer: Mit derselben Begründung, mit der auch die Aufrüstung legitimiert wird. Deutschland müsse sich gegen Antidemokraten wie Putin stärken und unabhängig machen. Dafür wurde – absurderweise – erst 2022 ein Vertrag über die Belieferung Deutschlands mit LNG mit Mindestdauer von 10 Jahren mit Katar geschlossen. Einem Staat, der selbst wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen immer wieder Ziel von Protestaktionen u.A. eben jener Mitglieder im Bundestag waren, die diese Entscheidung begrüßt und mitgetragen haben.

Es kann keinen stabilen Frieden in der Welt geben, ohne dass wir endlich anfangen, weitreichende Maßnahmen gegen die Klimakrise einzuleiten. Es kann keinen Frieden geben, ohne wirkliche Klimagerechtigkeit, ohne eine Beendigung der (neo)kolonialen Verhältnisse, die zum Status quo, so wie er heute ist, geführt haben. Dass auf Politiker*innen, welche Klimaaktivist*innen ins Gefängnis sperren lassen und öffentlich als Terrorist*innen markieren und denen gleichzeitig internationale oder europäische abkommen zum Klima gleichgültig sind kein Verlass ist, ist ebenfalls klar. Doch was heißt das nun, angesichts der Ausweglosigkeit, in der wir uns momentan in vielerlei Hinsicht zu befinden scheinen?

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gab sich gemeinsam mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in der Pressekonferenz sichtlich zufrieden über die soeben beschlossene schrittweise Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. Künftig müsse jede*r sich entscheiden, ob und was sie*er für die Sicherheit des Landes tun könne und wolle, ob er*sie Verantwortung übernehmen wolle oder nicht. Und auch in Kiel sind sich von AfD bis Grüne alle einig darin, dass die Bundeswehr, ein ‚berechtigtes Interesse‘ und somit mindestens gleichen Anspruch auf das Gelände hat wie bisherige Pläne für Kultur und Wohnungsbau, dass im Idealfall ein Kompromiss gemacht werden kann, aus dem beide Parteien Nutzen ziehen.

Wir hingegen sind uns sicher, dass es auf keinen Fall soweit kommen darf. Dass wir es den Herrschenden nicht abkaufen, wenn sie uns erzählen, wir sollen in den Krieg ziehen, um demokratische Werte wie ‚Freiheit‘ und ‚Gleichheit‘ zu verteidigen. Denn eben jene Werte greifen sie an, in dem sie die Festung Europa weiter ausbauen, indem sie Waffenlieferungen an Erdogan und Netanyahu genehmigen und fördern, indem sie die Totalüberwachung der Bevölkerung inklusive ständiger Gesichtserkennung ausbauen, indem sie weiter auf wirtschaftliche Vorteile schauend die fossile Infrastruktur ausbauen und sich einer ernsthaften Verantwortungsübernahme hinsichtlich der Klimakrisenfolgen konsequent verweigern. Wenn sie vorgeben, mit Berufsverboten und Demoverboten ‚unsere Demokratie‘ zu verteidigen und dabei tatsächlich die Meinungs- und Versammlungsfreiheit abschaffen, was genau soll dann eigentlich noch verteidigt werden? Und so ein Staat wundert sich allen ernstes, dass es nicht genug junge Menschen gibt, die freiwillig für ihn in den Krieg ziehen? Die sterben würden für ein Konstrukt, welches sie jeden Tag mehr unter Druck setzt, schikaniert und und ihnen durch brutale Gewalt seine Macht demonstriert? Wir glauben nicht, dass sich die Lage bessern wird, wenn wir nicht gemeinsam gegen all jenes aufbegehren und uns zur Wehr setzen, denn wer außer uns selbst sollte das tun?

Doch auch die Kälte geht vorüber wenn wir wollen!

Wir haben hier in Holtenau-Ost nun ein Baumhaus errichtet, um uns den drohenden Entwicklungen mit unserer Kraft und Fantasie entgegenzustemmen. Wir dürfen weder das MfG5-Gelände einfach der Bundeswehr überlassen – noch tatenlos zusehen, wie die Stadt weiter Gelder streicht und uns damit reihenweise Räume für Begegnung, Austausch und Gemeinschaft nimmt! Holtenau-Ost muss für uns alle zugänglich bleiben, der Wagenplatz muss bleiben, der Skateplatz und der Jugendtreff müssen bleiben!

Die Geflüchteten sollten selbst entscheiden dürfen, wo sie wohnen – und nicht gezwungen sein müssen, auf engstem Raum und geografisch abgesondert vom Rest der Stadtgemeinschaft zu bleiben. Der Raum sollte für alle und vor allem von allen genutzt werden. Kiel braucht dringend bezahlbaren Wohnraum und kostenlose kulturelle und soziale Projekte.

Wir brauchen keine faulen Kompromisse mit der Bundeswehr – wir brauchen Platz für unsere Ideen und angesichts der sich immer weiter zuspitzenden weltpolitischen Lage, angesichts von Klimakrise, Genoziden, Kriegen und Abschottung brauchen wir Raum für Austausch und Protest gegen den aktuellen Kurs von Staat, Regierungen und Gesellschaft.

Es gibt keinen echten Frieden im Kapitalismus. Es kann niemals Frieden ohne soziale Gerechtigkeit geben, ebenso wie es keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit geben kann. Lasst uns Holtenau Ost weiter zu einem Ort machen, der für alle da ist – und lasst uns verhindern, dass er in Zukunft im Zeichen der Zeitenwende für Aufrüstung, Gewalt und Zerstörung steht.

Vossi für alle – MfG5 bleibt zivil!

Macht das, was wirklich zählt – (Klima)gerechtigkeit erkämpfen, Wehrdienst verweigern:

No justice, no peace!

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