Einige Zitate sind hier im Englischen Original und danach von uns frei übersetzt wiedergegeben.
Im Rahmen einer Kanalsanierung sollen im oberen Teil der Esmarchstraße, zwischen Wasserturm und Holtenauerstraße, 18 Bäume gefällt werden. Zudem soll die Straße, wenn es nach den Plänen der Stadt Kiel geht, so umgestaltet werden, dass der breite Gehweg, die Wiese und das kleine Wäldchen verschwinden. Stattdessen sollen eine weitere Einbahnstraße und 9 zusätzliche Auto-Parkplätze entstehen.
Die Planungen der Baumaßnahmen wurden von der Stadt nicht nur ohne jeglichen Input von Anwohnenden vorrangetrieben, es gab auch keinerlei Anstrengungen, die direkt betroffenen Menschen rechtzeitig darüber zu informieren was vor ihrer Haustüre passieren soll.
Inzwischen sind aber einige Anwohner*innen auf das Bauvorhaben aufmerksam geworden und versuchen, mit unterschiedlichen Methoden ihrem Unmut über das Vorgehen der Stadt Kiel kundzutun, um eine mögliche Planänderung zu erzwingen.
Am 20.09.2024 wurde von einer Anwohnerin mit Kreide folgender Spruch auf den Gehweg gemalt: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann (Weissagung der Cree)“
Diese Aktion wurde sicher mit den besten Absichten durchgeführt und soll auf eine wichtige Sache aufmerksam machen. Dennoch sehen wir hier verschiedene Probleme bei der Verwendung dieses Spruches, in diesem konkreten Kontext, welche wir hier erläutern wollen:
Der Spruch wird häufig als „Weissagung der Cree“ bezeichnet, dabei gibt es keine Hinweise darauf, dass er tatsächlich von den Cree stammt [1]. Die erste auffindbare schriftliche Nennung eines ähnlichen Spruches stammt von der aktivistischen Filmemacherin Alanis Obomsawin, die zur Gruppe der Abenaki gehört. Ihre Version des Spruches wurde 1972 wie folgt veröffentlicht: „Canada, the most affluent of countries, operates on a depletion economy which leaves destruction in its wake. Your people are driven by a terrible sense of deficiency. When the last tree is cut, the last fish is caught, and the last river is polluted; when to breathe the air is sickening, you will realize, too late, that wealth is not in bank accounts and that you can’t eat money.“ („Kanada, das wohlhabendste aller Länder, arbeitet nach dem Prinzip der Erschöpfungswirtschaft, die nur Zerstörung hinterlässt. Ihr Volk wird von einem schrecklichen Gefühl des Mangels getrieben. Wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fisch gefangen und der letzte Fluss verschmutzt ist, wenn die Luft zum Atmen übel ist, werden Sie zu spät erkennen, dass Reichtum nicht auf Bankkonten liegt und dass man Geld nicht essen kann.“)[2] Wenig später verwendete Thomas Sakokwenionkwas Parker, ein Sprecher der Mohawk, ein ähnliches Motiv in einer Rede an der Havard Universität: “Someday President Nixon and the other world leaders are going to find out that once they catch the last fish, once they cut down the last tree, they won’t be able to eat all the money they have in the banks.” („Eines Tages werden Präsident Nixon und die anderen Staatsoberhäupter der Welt herausfinden, dass sie, wenn sie den letzten Fisch gefangen haben, wenn sie den letzten Baum gefällt haben, nicht mehr in der Lage sein werden, all das Geld zu essen, das sie auf den Banken haben.“)[2].
Diese Belege für die „originale“ Nutzung des Spruches machen deutlich: die Metapher vom letzten Baum und Fisch wurde zunächst tatsächlich von indigenen Aktivist*innen genutzt, um auf aktuelle Umweltzerstörung aufmerksam zu machen. Dabei wird das eigentliche Problem aber viel konkreter beschrieben. Es werden Akteure benannt, welche die Macht haben etwas zu ändern: [die Regierung von] Kanada und Präsident Nixon und andere Staatsoberhäupter der Welt. Auch der Zusammenhang zwischen Kolonialismus, Kapitalismus und Umweltzerstörung durch ewiges Wachstum wird sehr viel deutlicher thematisiert. In der Verwendung als „Weissagung der Cree“ bleibt von dem eindeutig anti-kapitalistischen Inhalt nur noch ein wages „dass man Geld nicht essen kann“.
Manchmal wird als Ursprung auch eine Rede vom Chief der Suquamish und Duwamish, Noah Seattle aus dem Jahre 1854 gesehen. Diese ist allerdings nur schlecht und sehr sicher nicht einmal annähernd im Originalton überliefert [3]. Die genaue Herkunft und Alter des Spruches sind nicht abschließend zu ermitteln. Sicher ist aber, dass es sich bei dem Spruch nicht um eine uralte Überlieferung handelt. Dass der Spruch trotzdem meistens als „Weissagung der Cree“ benannt wird, zeigt zum einen wie austauschbar indigene Gemeinschaften aus Sicht weißer Mitteleuropäer*innen scheinbar sind. Dass der Spruch als „Weissagung“ (manchmal wird auch von „Prophezeihung“ oder „Philosophie“ gsprochen) bezeichnet wird, offenbart zum anderen eine ebenfalls rassistische Grundannahme: „Native Americans“ hätten einfach „von Natur aus“ eine tiefe spirituelle Verbindung mit dem Land und ihrer Umwelt. Dies stellt Indigene nicht nur als ziemlich naiv dar, es verkennt auch, dass es ein fortwährender aktiver Prozess ist, diese Verbindung herzustellen und aufrechtzuerhalten. Kein Mensch ist dazu aufgrund genetischer Merkmale mehr oder weniger in der Lage. Gleichzeitig wird dieser Prozess ständig durch den Kolonialismus gestört. Im Falle der Native Americans unter anderem durch Zerstörung von stabilen Ökosystemen, etwa durch das massenhafte Abschlachten von Bisons oder die Zerstörung des kulturellen Gedächtnisses vieler Gemeinschaften durch Praktiken wie das residential school System.
Auch wenn die Person, welche sich – vermutlich häufig nur aus Unwissenheit – kultureller Aneignung bedient, dies nicht mit dem Hintergedanken getan hat, die Erfahrungen von Indigenen abwerten zu wollen, so ist das trotzdem der Fall. Und vor einem historischen Kontext in dem dies schon so lange und häufig vorkommt, haben Native Americans jedes Recht von weißen Menschen einen umsichtigeren Umgang mit ihrer Kultur einzufordern.
An dieser Stelle weisen wir auch gerne darauf hin, dass die meisten Quellen, die wir für diesen Text genutzt haben, Wikipedia-Artikel oder bei Wikipedia verlinkte Seiten sind – es handelt sich hier also keinesfalls um völlig unzugängliches Spezialwissen.
Dass der Spruch von Anwohner*innen der Esmarchstraße völlig unreflektiert für ihren Zweck benutzt wird, ist leider absolut keine Ausnahme. Bei der Recherche zu dieser Stellungnahme mussten wir feststellen, wie weit verbreitet die Verwendung dessen auch heute noch ist und wie wenig über die Herkunft und Problematik solcher „Prophezeihungen“ im Netz zu finden ist. Den meisten privilegierten Menschen scheint ein vollkommen vager Verweis auf eine vereiheitlichende Gruppenzuschreibung, mit kolonialem Ursprung völlig ausreichend und legitim. Dadurch werden Menschen eines gesamten Kontinents pauschal der Sphäre der Natur zugeschrieben und als anders konstruiert – mystisch, weise und wild. Dass der Überlebenskampf indigener Gruppen gegen anhaltende Kolonialisierung ein völlig anderes Level hat, als die Kontexte in denen der Spruch verwendet wird, scheint nicht von Bedeutung zu sein.
Also, wie sollten wir als Menschen in Europa einen besseren Umgang mit dem kulturellen Erbe der Native Americans finden? Wir sollten uns zunächst selbst hinterfragen. Warum denken wir, dass ein Aufruf zum Umweltschutz wirkungsvoller ist, wenn er mit einen Hauch von indigener Kultur transportiert wird? Tun wir dies nur, weil wir Indigene als Teil der Natur wahrnehmen und uns nicht? Oder tun wir dies, weil wir darauf hinweisen wollen, dass es Kolonialismus und Kapitalismus sind, die auf der ganzen Welt nachhaltige Lebensweisen zerstört haben und weiterhin zerstören? Echte Solidarität muss auf Augenhöhe stattfinden und darf gleichzeitig nicht blind für historisch bedingte Ungleichheiten sein.
Es spricht überhaupt nichts dagegen, Native Americans in unseren Kämpfen zu zitieren. Doch sollten wir uns dann lieber auf ganz konkrete Personen und Zitate beziehen und nicht auf irgendwelche verzerrten, spirituell anmutenden Sprüche. Dafür ist es unerlässlich Native Americans als lebendige, normale Menschen wahrzunehmen und nicht als koloniale Karrikatur.
In ihrem Buch „Becoming Kin. An Indigenous Call to Unforgetting the Past and Reimagining Our Future“ (2022) zeichnet die Anishinaabe Autorin Patty Krawec nicht nur die Geschichte des europäischen Siedlerkolonialismus in Nord-Amerika nach, sie zeigt den Nachfahren der Kolonisator*innen auch Wege auf, wie wir durch das Wieder-Bewusstmachen unserer Geschichte und einer Solidarisierung mit Indigenen selbst zu einem besseren Verhältnis zu unserer Umwelt zurückfinden können.
Deshalb möchten wir diesen Text mit den sehr passenden Schlussworten ihres Buches enden lassen:
„Your final task is to organize the people around you. This is hard work, largely because you have changed and because the people around you know an earlier version. They liked that version. But now you know better; and as the saying goes, when you know better, you have to do better. […] Organize the people around you so that you can bring them with you – so you can share the good news of a green path lush with grass and a world of possibility.“ („Deine letzte Aufgabe besteht darin, die Menschen um dich herum zu organisieren. Das ist harte Arbeit, vor allem, weil du dich verändert hast und weil die Menschen um dich herum eine frühere Version von dir kennen. Sie mochten diese Version. Aber jetzt weißt du es besser; und wie das Sprichwort sagt, wenn man es besser weiß, muss man es auch besser machen. […] Organisiere die Menschen in deinem Umfeld so, dass du sie mitnehmen kannst – damit Sie die gute Nachricht von einem grünen Pfad mit üppigem Gras und einer Welt voller Möglichkeiten verbreiten können.“) [4]
Quellen:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Weissagung_der_Cree
[2] https://quoteinvestigator.com/2011/10/20/last-tree-cut/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Seattle_(H%C3%A4uptling)
[4] Patty Krawec, Becoming Kin. An Indigenous Call to Unforgetting the Past and Reimagining Our Future (2022).
weiterführende Quellen:
Roxanne Dunbar-Ortiz: An Indigenous Peoples‘ History of the United States (2014).
Nick Estes: Our History is the Future. Standing Rock versus the Dakota Access Pipeline, and the Long Tradition of Indigenous Resistance (2019).
Nick Estes: Red Nation Rising. From Bordertown Violence to Native Liberation (2021).https://en.wikipedia.org/wiki/Legend_of_the_Rainbow_Warriors
Interview mit Michael Niman: http://www.johntarleton.net/niman.html
Nick Estes, Tasiyagnunpa Livermont, Kim TallBear, Richard Meyers, Joel Waters, Taté Walker: Protect He Sapa, Stop Cultural Exploitation (2015). https://indiancountrytodaymedianetwork.com/2015/07/14/protect-he-sapa-stop-cultural-exploitation
https://en.wikipedia.org/wiki/Pretendian