„Mit den letzten Paddelzügen erreichen wir mit den Kajaks und Kanus die Schiffswand des riesigen Kreuzfahrtschiffes in der Kieler Förde. Von der anderen Seite nähern sich mehrere Schlauchboote mit einem aufblasbaren Einhorn. Es ist geschafft: die erste Blockade rund um das Kreuzfahrtschiff Vasco Da Gama steht!“
Am 3. Juli 2022 wurden im Kieler Hafen zeitgleich 3 Kreuzfahrtschiffe blockiert. Die Aktionsgruppe „Smash Cruiseshit“ hatte sich von verschiedenen Startpunkten mit Kajaks und Kanus, Schlauchboooten sowie Aufblasteilchen in Form von Einhörner oder Pizzastücken den klimaschädlichen Riesen genähert. Am Ostseekai wurden die Vasco da Gama und die Norwegian Dawn blockiert, im Ostuferhafen wurde die MSC Preciosa für mehrere Stunden gestoppt. Bei der Blockade haben circa 50 Aktivist*innen die Kreuzfahrtschiffindustrie aktiv daran gehindert, Urlaub auf Kosten von anderen anzubieten und gezeigt, dass Kiel kein Ort für Kreuzfahrerei ist.
Ökologisch und sozial gesehen ist die Kreuzfahrtindustrie untragbar. Nicht nur in globaler Hinsicht – sondern auch lokal – sind die Folgen der zunehmenden Kreuzfahrten zu reinen Vergnügungszwecken immens.
Während der Kreuzfahrtsaison ist in Kiel eine der höchsten Feinstaubbelastungen im europaweiten Vergleich messbar. Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen werden durch Feinstaub verursacht oder führen zu Verschlechterung der schon bestehenden Erkrankung. Krebserregende Stoffe werden von den Pötten kontinuierlich in die Luft gepustet – Transparenz zu dieser Problematik in Häfenstädten fehlt jedoch weitgehend.
Dass dies nicht nur für die Menschen gilt, sondern auch für die Umwelt, ist offensichtlich. Kreuzfahrt spielt im Ranking „Wie kann ich meinen Urlaub besonders klimaschädlich gestalten“ an einer der obersten Stellen mit. An Land wird das Schiff über die Landstromanlage aufgeladen, was in kürzester Zeit so viel Energie verbraucht wie eine Kleinstadt – und das ist noch die klimafreundlichere Variante. Auf offener See fahren viele Schiffe weiterhin mit Schweröl, astronomisch hohe Konzentrationen an Feinstaub, Schwefeldioxiden und Stickoxiden sowie Rußpartikeln landen in unserer Umwelt und setzt sich an den Polen ab, was wiederrum die Eisschmelze verstärkt. Dazu kommt, dass viele Tiere durch den Lärm der riesigen Dampfer gestört werden und Küstenabschnitte durch die Anlagen zerstört werden.
Auch viele Arbeiter*innen auf den Kreuzfahrtschiffen haben mit den Arbeitsbedingungen zu kämpfen, die eine Art Zwei-Klassengesellschaft schaffen. 30% der Angestellten ist nautisches Personal und die übrigen 70% sind Servicekräfte, die meist aus Niedriglohnländern kommen. Diese stehen ständig den Urlauber*innen in ihrem „wohlverdienten“ Luxus-Urlaub auf Hoher See zu Diensten und das unter oftmals sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Es gelten die arbeitsrechtlichen Bedingungen der Flaggenstaaten, welche von den Reedereien frei gewählt werden können. Zusätzlich besteht auf den Schiffen kein Kündigungsschutz.
Der Protest dagegen war an diesem Sonntagnachmittag sowohl an Land als auch auf dem Wasser sehr bunt. Ein Junggesell*innen Abschied auf besonderer Mission hat mit viel Spaß, Freude und einem regenbogenenfarbenen Einhorn den Weg aufs Wasser gefunden. Viele Kajaks, Kanus und Schlauchboote mit Bannern wie „Queers crashing Cruiseships“ oder „Unicorns against Cruiseships“ haben die Förde vor und neben den Kreuzfahrtschiffen geschmückt. Mit großen Magneten wurden Fronttranspis mit den Sprüchen „LNG Stoppen“ und „Fight Neocolonialism“ an die Bugseiten der Schiffe angebracht.
Der Fokus der Blockade lag auf LNG und dem Neokolonialismus, der unter anderem durch die Förderung von Flüssigerdgas passiert. „Liquified natural gas“ (LNG) wird mittlerweile von vielen Schiffen als Treibstoff verwendent. Auf den ersten Blick mag das wegen der geringeren Luftschadstoff-Emissionen als „gute“ Alternative wirken, doch das dabei entweichende Methan sowie die Produktion an sich reihen LNG gemeinsam auf einer Stufe mit Schweröl und Marinediesel ein.
LNG kommt meist aus Regionen in Nord- und Lateinamerika, in denen indigene Menschen oder ärmere Menschen leben – das heißt Menschen und Gebiete, welche eh schon stark vom Klimawandel gezeichnet sind. Und außerdem: Das Erdgas an diesen Orten wird durch Fracking gewonnen. Unmengen an Wasser wird verunreinigt, es kommt zu wiederholten Erdbeben und für die dort lebende Bevölkerung ist dies mit einer Vielzahl an gesundheitlichen Risiken verbunden.
Wie so oft in der kapitalistischen Gesellschaft wird auch bei Kreuzfahrschiffen versucht die schlechte Klimabilanz mit Greenwashing zu verstecken. Das passiert durch neue Landstromanlagen und durch die Nutzung von LNG. Die Verwendung von Schweröl als Treibstoff, die Entsorgung von Unmengen an Müll auf dem Offenen Ozean, der Lärm der Schiffe für die Meerestiere oder der ökologische Eingriff bei dem Bau neuer Terminals wird dabei raffiniert verschwiegen.
„Dreckiger Luxus auf Kosten Anderer“, dieser Spruch schmückte eines unserer Transparente – wie wahr. Tatsächlich hatten wir ein wenig Publikum. An Land gab es einige Menschen, die vorbeizogen und dann doch mit neugierigem Blick auf das Geschehen im Wasser stehenblieben. Auch die Urlauber*innen an Bord trauten sich nach und nach an die frische Luft der Kieler Förde und beäugten uns von oben. Was sie sich wohl dachten? Wir jedenfalls fanden es gemütlich in unseren Kajaks auf dem Wasser und ehrlich: „Geht doch Zelten, ist eh viel schöner!“
Nachdem die Blockade stand, erste Journalist*innen gekommen waren und die Kieler Wasserschutzpolizei von den drei verschiedenen Blockaden etwas überfordert erschien, mussten wir leider feststellen, dass es ja doch einen unberechenbaren Faktor gibt: das Wetter. Erst weiter weg und dann immer näher kommend zog ein Gewitter über Kiel auf.
Zeitgleich zeigte der Kapitän der Vasco da Gama, was für ihn wirklich zählt. Er machte die Bugstrahlruder an. Dabei war es ihm sichtlich egal, dass sich Menschen unmittelbar in der Nähe der Schiffswand befanden. Diese Antriebsmaschinen sorgen für eine starke Sogkraft unter Wasser und können lebensgefährlich sein.
Als das Gewitter nun über Kiel war und es angefangen hatte zu regnen, entschied sich die Aktionsgruppe vor der Vasco Da Gama dazu, das Wasser zu verlassen um keine Menschen zu gefährden. Den Kapitän der Vasco Da Gama interessierte es dann auch nicht, dass sich noch zwei Aktivist*innen in einem Schlauchboot direkt neben dem Schiff aufhielten und legte schnellstmöglich ab. Glücklicherweise ist den beiden nichts passiert.
Unser Fronttranspi „Fight Neocolonialism“ ist währenddessen mit der Vasco da Gama auf eine weite Reise nach Kopenhagen gegangen.
Weniger gut ist die Situation am Ostuferhafen ausgegangen. Dort wollten einige Aktivist*innen das Hafenbecken über die Notfallleiter verlassen, doch wurden von den Hafenmitarbeiter*innen merhmals daran gehindert. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Gewitter direkt über der Kieler Förde – eine sehr gefährliche Situation für die Aktivist*innen. Kurze Zeit später begann die Räumung der beiden noch bestehenden Blockaden. Dabei wurden die Aktivist*innen und die Schwimmgefährten mit den Polizeibooten an Land gebracht. Das Kreuzfahrtschiff MSC Preciosa konnte so 2 1/2 Stunden daran gehindert werden abzulegen.
Es wurden circa 30 Aktivist*innen für mehrere Stunden in Gewahrsam genommen. Auch Journalist*innen und andere Menschen, die beim Gewitter geholfen haben, die Menschen und Boote aus dem Wasser zu bekommen, wurden festgehalten. Am Abend waren dann alle wieder frei und wurden herzlich mit Erbsensuppe empfangen.
Die Blockade im Kieler Hafen reiht sich ein in viele weitere Aktionen um den Widerstand gegen die Kreuzfahrtindustrie.
Ende September 2019 kam es zu einer Blockade der Queen Elizabeth in Helsinki von der Gruppe Elokapina, wo die Aktivist*innen mit Kajaks dem dreckigen Pott den Weg versperrten und das Auslaufen für etwas Zeit hinderten. Als Vorbild für den Widerstand gegen die Kreuzfahrtschiffe ist die Bewegung „no grandi navi“ in Venedig, die seit 2002 protestiert. Diese Proteste waren erfolgreich und seit 2021 ist das Einlaufen der Kreuzfahrtschiffe verboten. Allerdings wurde dieses Verbot von der „Norwegian Gem“ erst vor einigen Tagen gebrochen. Dies zeigt, dass weiterer Widerstand im Moment umso wichtiger ist.
Auch in Kiel fand bereits im Sommer 2019 eine Kreuzfahrtschiff-Blockade statt. Nun wurden 2022 drei Kreuzfahrtschiffe parallel blockiert und es wird garantiert nicht die letzte Aktion sein.
Erschöpfbare und fossile Ressourcen für verschwenderische Urlaubsvergnügen auf Kreuzfahrtschiffen, die vielmehr schwimmenden Hotels ähneln, zu verwenden, kann weder jetzt noch in Zukunft fortgeführt werden.
Ein Umdenken und -lenken der Gesellschaft im Umgang mit der Klimakatastrophe weltweit muss antikolonial und antikapitalistisch angegangen werden.
SMASH CRUISESHIT!